USA – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Das panamerikanische Ebook http://superdemokraticos.com/laender/argentinien/das-panamerikanische-ebook/ Tue, 29 Nov 2011 05:55:09 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6034 Die Argentinierin Patricia Arancibia lebt schon lange in New York und leitet den Ankauf der internationalen Bücher bei Barnes&Nobles. Die US-amerikanische Buchhandelskette setzt nämlich verstärkt auf die Kaufkraft spanischsprachiger US-Amerikaner und startete im November 2010 den Ebook-Shop Nook español mit 24.000 verkaufbaren Titeln. Denn der Markt ist da, sozusagen panamerikanisch: 50 Millionen US-Latinos leben in den Staaten, 4,8 Millionen in Puerto Rico; im Jahr 2050, schätzt man, werden es 133 Millionen sein. Damit ist die US-amerikanische Latino-Bevölkerung die zweitgrößte nach Mexiko. 35 Millionen US-Amerikaner sprechen Spanisch zu Hause (Zahl von 2008), bereits 2009 waren 26 Prozent der Kinder unter 5 Jahren in den USA spanischsprachig. „Wir vermehren uns schnell“, weiß die Managerin, die mit Zahlen nur so um sich werfen kann. Und sie betont: Die US-Latinos sind nicht technologiescheu: bereits mehr als die Hälfte haben ein Laptop und nutzen Wi-Fi.

Im Mini-Interview gibt sie den Deutschen einen Ratschlag, wie sie ihren derzeit noch weniger als 1 Prozent Ebook-Marktanteil steigern können: Der große Vorteil des deutschen Buchmarktes sei das große Angebot an bereits verfügbaren digitalen Titeln, die Lesegeräte müssten sich nur stärker verbreiten. Leser seien die Deutschen ja zum Glück schon…

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Schwarze Diaspora http://superdemokraticos.com/laender/usa/schwarze-diaspora/ http://superdemokraticos.com/laender/usa/schwarze-diaspora/#comments Wed, 27 Jul 2011 06:48:18 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=4308 Ich sitze in einem Café. Die Sonne scheint, mein Blick fällt erst auf die riesigen Palmen, deren Wedel sich im Wind bewegen und dann auf Angela Davis, die mir entgegenkommt. Mit Yoga-Matte auf dem Rücken lächelt sie mir zu und fragt mich, wie es mir geht. Wir haben uns vor ein paar Wochen auf einer Veranstaltung kennengelernt. In den drei kurzen Monaten, in denen ich jetzt in Kalifornien lebe, hatte ich Begegnungen, von denen ich in Deutschland über Jahre hätte zehren können. Manchmal wünschte ich, ich wäre hier aufgewachsen und hätte nicht in Deutschland, umgeben von diesem endlosen undurchdringlichen Weißsein meine Identität als Schwarze Frau formen müssen.* Ich hätte mich nicht von der frühesten Kindheit an damit auseinandersetzen müssen, dass man in mir zuerst die Repräsentation einer Gruppe sieht und erst sehr viel später die Person. Damit, dass afrodeutsche Menschen wie ich im medialen Diskurs nicht oder nur als Klischee vorkommen. Damit, dass man uns Dinge nennt, die eines Menschen nicht würdig sind.

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Hier muss ich mich nicht mehr ständig definieren und erklären. Gerade weil das Schwarzsein so präsent ist, ist mein Schwarzsein nicht mehr entscheidend. Plötzlich kommen keine Rückfragen mehr, wenn ich sage, dass ich aus Deutschland bin (Aber woher kommst du wirklich? Und ursprünglich? Aber deine Eltern?…). Ich kann mich in 30 Lebensjahren an keine einzige Situation erinnern, in der so eine Aussage in Deutschland unhinterfragt stehen blieb. Schwarzsein und Deutschsein schließen sich für zu viele noch immer gegenseitig aus.

Manchmal vermisse ich es. Doch dann erinnere ich mich wieder. An das Fremdsein im eigenen Land. Daran, dass all die Selbstverständlichkeiten, an die ich mich in meiner neuen Heimat schon komplett gewöhnt habe, dort nicht existieren. Dass ich in Deutschland nicht zufällig meinen HeldInnen und inspirierenden Menschen wie Alice Walker, Chuck D und Danny Glover begegne, sondern viel Zeit, Energie und Planung investieren muss, um mir (und anderen) vor Augen zu halten, wie vielschichtig und bewundernswert wir Menschen of Color sind. Und während wir uns in Hamburg und dem Rest Deutschlands dagegen wehren, dass weitere Kolonialisten mit Straßen- und Stadtteilnamen geehrt werden, lebe ich hier zwischen Gebäuden, Autobahnen und Plätzen, die nach Schwarzen Widerstandskämpfern und Politikern benannt sind. Hier kann ich mich den unterschiedlichsten Schwarzen Gruppen und Organisationen anschließen und muss sie nicht selbst gründen. Hier kann auch ich einfach mal mitmachen.

Kann zu Marcus Books, dem ältesten unabhängigen Schwarzen Buchladen der Vereinigten Staaten spazieren und mich durch die gesammelten Werke literarischen Schaffens aus der afrikanischen Diaspora wühlen. Die afrikanische Diaspora hat hier sogar ihr eigenes Museum. Ich freue mich. In mir hat sich so viel entspannt. Natürlich weiß ich, dass auch hier hinter all dem, was ich jetzt genießen kann, schmerzhafte Opfer und Kämpfe stehen. Kämpfe, die noch lange nicht vorbei sind. Insofern ist mein Aufenthalt hier so, als hätte ich mich in eine Zeitmaschine gesetzt, hätte eine Preview des Möglichen. All das – und etwas ganz Eigenes – können wir in Deutschland auch haben. Wenn wir uns weiterhin als People of Color organisieren und nicht mit dem Status quo abfinden.

Ein afroamerikanischer Gast-Professor war am Ende seines Aufenthalts an meiner Uni so über das schockiert, was er im Kollegium hörte und in Hamburg erlebte, dass er alle Schwarzen Studierenden in meinem Fachbereich davon überzeugen wollte, in die USA zu kommen. Ich war der Meinung, dass Abhauen keine Lösung sei, dass man bleiben und etwas verändern müsse. Dass man nicht einfach alle(s) im Stich lassen könne. Sein Statement dazu: „Die Frage ist, wie viel man selbst aushalten kann.“

Für mein junges Aktivistinnen-Herz war das damals schwer hinzunehmen. Das war wie Hochverrat an der Sache, der ich damals mein Leben widmete. Aber mein Professor hatte recht, man muss auf sich selbst aufpassen. Zwischendurch auftanken. Und so versuche ich zumindest aus der Ferne ein paar Dinge aus der Zukunft mit denen zu teilen, die in Deutschland die Stellung halten:

youtube http://www.youtube.com/watch?v=94W1JjvWOSk

*Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung, die adjektivisch in Großschreibung verwendet wird.

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Democracia = Demokratie? http://superdemokraticos.com/themen/burger/democracia-demokratie/ Tue, 05 Oct 2010 07:00:10 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2331 Wir schreiben seit ein paar Monaten in diesem Blog mit dem Titel „Los Superdemokraticos“. Aber: Bedeutet Demokratie für die deutschen und die lateinamerikanischen Autoren überhaupt über das Gleiche? Wenn doch schon der Begriff bei einem Kolombianer und einem Argentinier völlig unterschiedliche Assoziationen auslösen kann! „Die Rückkehr zur Demokratie“ ist für einen Argentinier ein Meilenstein, ein Aufatmen. „La seguridad democrática“ in Kolumbien ist ein Sicherheitskonzept der harten Hand, entworfen unter Ex-Präsident Alvaro Uribe.

Das beste ist immer, jemanden zu fragen, der Bescheid weiß. Roberto Gargarella zum Beispiel. Er ist Anwalt und Soziologe, Master in Political Sciences, hat zu verschiedenen Aspekten der Funktionsweise demokratischer Systeme gearbeitet. Er unterrrichtet in Buenos Aires an der Universidad Di Tella, war Gastprofessor in Spanien, Norwegen und Ungarn. Im November fliegt er nach Hamburg, um dort im Rahmen eines Seminars des GIGA-Instituts über Verfassungsänderungen in Lateinamerika zu sprechen.

Meinen Argentinier und Deutsche das Gleiche, wenn sie über „Demokratie“ sprechen?

Wir sprechen oft über völlig verschiedene Dinge, wenn wir einen Begriff definieren. Es kann zum Beispiel etwas völlig anderes bedeuten, wenn man sagt: „Ich bin links“, „Ich bin rechts“, „Ich bin Liberaler.“ In Argentinien ist ein Liberaler rechten Ideologien nah, sogar der letzten Diktatur, während der Liberalismus z.B. in den USA als fortschrittlich gilt, sich auf die Linke bezieht.

Welche Rolle hat der Staatschef in den beiden Ländern?

In Argentinien haben wir ein Präsidialsystem, das zu einem Hyper-Präsidialsystem geworden ist. Die Grundlage für die meisten lateinamerikanischen Verfassungen ist das nordamerikanische Modell, aber unsere Präsidenten haben verfassungsmäßig mehr Macht als in den USA. Ein argentinischer Präsident kann in die Politik der Provinzen eingreifen, den Ausnahmezustand erklären, durch diesen die Bürgerrechte einschränken, er kann nach Gutdünken Minister ernennen und absetzen. In parlamentarischen Systemen hat ein Präsident längst nicht so viele Vollmachten.

Deshalb steht die Figur des Präsidenten im Mittelpunkt, er ist der große Entscheider. Ich kritisiere das Hyper-Präsidialsystem, weil es ein großes Risiko gibt: Das System der Gewalten und Gegengewalten, kann durch eine sehr starke Exekutive gestört werden.

Wenn man den Statistiken glaubt, funktioniert die Demokratie in Deutschland besser als in Argentinien.

Wenn wir die Demokratie als ein System von Gewalten und Gegengewalten verstehen, mit freier Meinungsäußerung, regelmäßigen Wahlen, steht Argentinien im Vergleich schlechter da.

Wenn man aber näher hinschaut und auf die Kontrollmöglichkeiten achtet, die die Bürger gegenüber ihren Volksvertretern haben, funktionieren beide Modelle, das argentinische und das deutsche, nicht gut. Ich ziehe es vor, ein Demokratie kritisch zu beurteilen.

In einem Punkt liegt Argentinien übrigens vorne, es gibt eine große Beteiligung der Bürger in der Tagespolitik. Die Leute interessieren sich, handeln politisch, gehen auf die Straße, protestieren, und zwar mehr als in europäischen Ländern. Das ist meiner Meinung nach einer der interessantesten Züge, die die lateinamerikanische Politik vorzuweisen hat: Dass die Bürger sich für etwas einsetzen und versuchen, selbst politische Kontrolle auszuüben.

Trotzdem herrscht in Argentinien Wahlpflicht.

Das ist kein Problem, sondern eine Tugend unseres Systems. Eine freiwillige Stimmabgabe ist ein Risiko, vielleicht gehen die Leute nicht wählen, weil sie denken: „Meine Stimme zählt nicht viel, was macht sie schon aus, eine von 50 Millionen.“ Die Wahlpflicht ist ein kleiner Schubs, den der Staat gibt. Es heißt, dass Nichtwähler eine Strafe zahlen müssen, aber das wird nicht durchgezogen. Die Wahlpflicht ist ein wichtiger Anreiz, schließlich steht etwas Bedeutendes auf dem Spiel: „Wie definieren wir die politische Organisation in den nächsten Jahren?“

Das Vertrauen in die Institutionen ist gering. Wie schätzen Sie deren Leistung ein?

Es gibt eine Tradition der Staatsstreiche, aber das Militär hat nicht mehr viel Einfluss auf die Politik. Ich würde mir in Argentinien, und auch in anderen Ländern, mehr Sorgen um die Rolle der Polizei machen. Sie ist nach wie vor korrupt und in Verbrechen verwickelt. Die Justiz ist besser geworden. Es war lange üblich, dass eine Regierung versuchte, eine Mehrheit im Obersten Gericht zu erreichen. Deshalb variierte die Qualität und die Rechssprechung wechselte oft. Wir hatten liberale Gerichte, konservative, korrupte, und in diesem Moment ist das Oberste Gericht respektabel, mit guter akademischer Bildung, unabhängig.

Wieviel Einfluss hat die so genannte „fünfte Macht“?

Der Einfluss großer Unternehmen ist ein großes Defizit der Demokratie in Deutschland und in Argentinien. Bei uns kommt ein wirtschaftliches Ungleichgewicht dazu, das dafür sorgt, dass die Mächtigen noch mächtiger sind. Bis in die 70er und 80er Jahre war Argentinien sehr egalitär, mit der letzten Diktatur änderten sich diese Strukturen. Die Ungleichheit ist ein Problem, für das wir noch lange keine Lösung haben.

Wie frei ist die Presse?

Journalisten werden in Argentinien nicht verfolgt, es gibt oppositionelle Medien und keine direkte Zensur. Es gibt indirekte Zensur, vor allem in der Art und Weise, wie die Regierung Anzeigen von Staatsseite verteilt. Das sind enorme Summen, die nach Gutdünken vergeben werden. Abgesehen davon haben wir das gleiche Problem wie alle Länder mit ungleichen Stukturen: Es gibt Stimmen, die nicht gehört werden, weil sie nicht genug Macht oder Geld haben, an die Öffentlichkeit zu kommen. Das kann auch in Deutschland passieren, zum Beispiel müsste man überprüfen, ob die verschiedenen Einwanderergruppen Zugang zur öffentlichen Meinungsbildung haben.

Woher kommt die große Apathie in einigen Ländern?

In Europa hat die wachsende Apathie damit zu tun, dass die Leute merken, dass die Entscheider von Lobbygruppen beeinflusst sind. Die großen Unternehmen haben leichter Zugang zur Macht als die Bürger, der Einfluss der Interessensgruppen ist größer als der von hunderttausenden von Bürgern. Die Türen des Systems sind verschlossen, wenn die Menschen Druck machen. Aber die Systeme sind sensibel für den Druck von Machtgruppen, von Lobbyisten.

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Ich lese, damit mir die Dinge von Bedeutung sind http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/ich-lese-damit-mir-die-dinge-von-bedeutung-sind/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/ich-lese-damit-mir-die-dinge-von-bedeutung-sind/#comments Wed, 29 Sep 2010 07:00:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2278 Es gibt Tage, an denen mir alles erdrückend und sinnlos erscheint. Dann sind mir nur noch der Kaffee, das Essen, der Mantel und der Zug von Bedeutung, der in der Ferne vorbei fährt, ohne dass ich darüber nachdenke, wer vorbeifährt, wer die Fenster bewohnt, hinter ihnen leidet oder lacht. Ich erliege der Versuchung, dass mir alles egal ist, ich zucke mit den Schultern und denke an verrückte Dinge. An solchen Tagen schreibe ich nicht, sondern lese David Foster Wallace.

DFW, wie wir ihn unter Freunden in Korrespondenzen voller Referenzen und Vermerken nennen, forderte im September 2008 den Tod heraus. Einen Monat später brachte sich ein Jugendfreund auf dieselbe Weise um. Ich erinnere mich daran, wie ich den langen, harten und verpflichtenden Artikel in der Rolling Stone lese, auf dem Hinflug weinte und auf dem Rückflug zerstört war durch den Tod eines Teils meines Lebens. Trotz meiner lähmenden Angst vor dem Fliegen waren dies die beruhigendsten Flüge, weil mir bewusst wurde, dass es viel schlimmere Dinge gibt als den freien Fall aus 3.000 Fuß Flughöhe.

Möglicherweise wird meine Beziehung zu DFW immer diese traurige Seite haben, dunkel und depressiv, ergeben und verzweifelt. Die schlecht erleuchteten Salons, wo wir Alkoholiker schiefe Behauptungen wiederholen, die paranoiden Einsamen, die mit geschlossenen Fenstern leben, mit jenen brutalen Formen, mit denen wir uns selbst zerstören. Aber nicht nur für mich, sondern für einige Menschen, die ich kenne, sind seine Essays und Romane brillante Quellen der Inspiration, eine Landkarte, um die nordamerikanische Erfahrung zu verstehen, und vor allen Dingen eine Mahnung, warum uns die Dinge von Bedeutung sein sollten.

2009 las ich Infinite Jest (Unendlicher Spaß), ein überdimensionales Buch, das ich voller Energie durch die Straßen von Amsterdam schleppte. Anstatt mit Menschen zu interagieren, versenkte ich mich darin, eine Ersatzhandlung. Eine Touristin, die, indem sie sich sich einem so schweren, unbequemen Buch auszusetzen, sagt: Liebes Amsterdam, ich mag deine Cafés, aber ich bin mehr daran interessiert zu erfahren, was in einer imaginären Tennisschule an der Ostküste der Vereinigten Staaten geschieht. Ich liebte jede der 1079 Seiten, jede gewundene Fußnote, jede düstere Referenz, jedes unverständliche geometrische Diagramm. Ein Spiegel jedes Menschen, mit dem ich nicht sprach.

Ich fühlte mich nicht schlecht. Bei diesem Zusammentreffen, jenem im Flugzeug, hatte ich gelernt, dass Schüchternheit im Prinzip bedeutet, so „self-absorbed“ zu sein, so sehr mit den eigenen Belangen und Gedanken beschäftigt zu sein, dass es sich schwierig gestaltet, mit anderen Menschen zu sein.

David Foster Wallace hat mich das alles mit seiner leichtfertigen Didaktik gelehrt, mit seiner Fähigkeit, Dinge, die man lieber nicht wissen würde, detailliert zu zeigen. Einer seiner meist-zitierten Texte ist seine Antrittsrede vor einer Klasse am Kenyon College im Jahr 2005, der einzige Text, den ich jenen empfehle, die sich nicht mit Problemen beschäftigen möchten. In dieser Rede sagte DFW, dass nur jene Art von Freiheit wirklich von Bedeutung ist, die Aufmerksamkeit, Bewusstsein, Disziplin, Anstrengung und die Fähigkeit, sich um andere Menschen zu kümmern und sie zu mögen, einfordert, sowie die Bereitschaft, sich für sie ein ums andere Mal und jeden Tag auf’s Neue in einer Vielfalt von trivialen, kleinen und unsexy Formen zu opfern.

Er zeigte mir auch, dass postmoderne Ironie und Zynismus weder beim Schreiben, noch beim Sprechen noch bei sonst etwas notwendigerweise gute Politik sind. Dass sie ein selbstbezogenes Ziel sind, eine Art und Weise, ein cooler und schlauer Autor zu sein. Dass Ironie und der Zynismus Möglichkeiten waren, auf die Dinge hinzuweisen, die nicht waren, was sie vorgaben zu sein, die Gesellschaftsmodelle der 50er und 60er Jahre zu verurteilen. Aber was tun wir, nachdem wir sie verurteilt haben, nachdem wir die Dinge zur Mitte hin geöffnet haben und ihren wahren Inhalt gezeigt haben?

Ohne Zynismus zu schreiben, macht jeden Tag Arbeit, so wie das Bügeln der Bluse der Schuluniform, wie auch das sorgfältige Putzen der hinteren Zähne. Die Übung, für die Superdemokraten zu schreiben, war Teil dieser methodischen Anstrengung, die Aufrichtigkeit zu praktizieren, auch wenn sie uns nackt und einsam zurück lässt mit dem ehrlichen Versuch, die Dinge zu ändern.

Ich werde diese Artikel aufbewahren, um mich wieder zu lesen, um zu sehen, wie ich in dieser Epoche der Mysterien war. Im Moment fühle ich mich nicht als Bürgerin irgendeines Ortes, nicht besonders eingebunden in irgendeine gesellschaftliche Angelegenheit und nicht einmal besonders nah bei mir selber. Ich gehe blind und bin nicht alleine, wir sind viele, die wir den Boden ausmessen und die Spuren suchen, die uns dorthin gebracht haben, wo wir sind. Unglücklicherweise geht mir die endliche Quelle von Material aus, das einst David Foster Wallace schrieb oder das jemand anderes über ihn schrieb. Vielleicht, wenn ich aufgehört habe zu lesen, habe ich meinen exakten Ort der Normalität der Tage gefunden und kann dem Zug in der Ferne vorbeifahren sehen, aber diesmal, ja, diesmal winke ich mit der Hand zum Abschied.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Cagey Area http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/cagey-area/ Tue, 28 Sep 2010 14:50:08 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2232

Las Vegas - MGM © Sabine Scho

Wie man aus der Wohnung, wo einer haust, und aus dem Stadtviertel, das er bewohnt, sich ein Bild von seiner Natur und Wesensart macht, hielt ich es mit den Tieren des Zoologischen Gartens.
(Walter Benjamin)

Zoologische Gärten sind Schnittstellen, die von dem Leben der eigenen mit der je anderen Art zeugen. Ihre Gestaltung spiegelt das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die ihren Platz in der Evolution immer wieder neu definiert.

Beim Besuch eines Zoos verlangt es uns heute längst nicht mehr nach einem Abbild symbolischer Ordnung, wie sie noch die Menagerie Ludwigs XIV. verkörperte. Dessen Baumeister Louis Le Vau ordnete die Gehege in sogenannten Logen an. Der absolutistischen Herrschaftsidee entsprechend, richtete er diese konzentrisch zum Betrachterstandpunkt des Sonnenkönigs aus.
Gerechte Hege erbaut uns heute mehr als gebaute Hegemonie. Nicht positivistischer Bildungshunger treibt uns, eher schon suchen wir in den Landschaftskulissen nach Reservaten der Sehnsucht. So hat sich das Projekt Zoo gleichsam invertiert: Künstlich bauen wir en détail wieder auf, was wir en gros zerstören.
Große Freigelände ersetzen einzelne Gehegebauten und versammeln Lebensgemeinschaften unterschiedlichster Klimazonen.

Dabei ist der Freigeländegedanke gar nicht so neu, wenn man sich an Carl Hagenbeck und seine Utopie eines Zoos ohne Gitter erinnert, die er in Stellingen bei Hamburg 1907 verwirklichte. Hagenbeck, der als Fischhändler in St. Pauli begann, als Tierhändler sein Geld verdiente, der mit seinen berühmtberüchtigten Völkerschauen sowie seinem Zirkus und den portablen Panoramen durch die ganze Welt tourte, hatte schon früh begriffen, worauf es beim Unterhaltungsunternehmen Zoo im 20. Jahrhundert ankam: paradiesische Verhältnisse.

Doch was sich scheinbar kohärent zu einem Bild fügt, fängt mit einem Felskettenimitat der Hochgebirge an und endet in einem japanischen Garten, ganz nach dem Vorbild eines Landschaftspasticcios.

Im Zoo existieren keine fließenden Übergänge, Regenwälder finden sich direkt neben pinguinalen Tierkühlhäusern mit Gletscherambiente, vom maritimen Streichelbecken geht es über eine Doppelschwingtür in die Trockenwüste, die, den Tagesablauf der nachtaktiven Wüstenbewohner umkehrend, zur Besuchszeit in mittägliche Dunkelheit getaucht ist.
Und nicht nur zieht der Zoo seine Grenzen zwischen Mensch und Tier, zumeist zieht er sie auch zwischen den Tieren, denn Freßfeindschaften stören doch letztlich sehr die Vorstellung vom Zooparadies, das keine Kampfarena – wie einst im antiken Rom – sein soll.

Menagerien sind theatralische Orte, nicht minder als es Theater, Kirchen, Tempel, Arenen oder Mausoleen sind. Einen definierten Parcours, kalkulierte Perspektiven, Sichtachsen, Aussichtsplattformen, all das berücksichtigt man bis heute auch bei der Ausstellungsarchitektur Zoo.

Mit den ersten Menagerien hat man schon praktiziert, was erst viel später auf den Begriff gebracht werden sollte: Globalisierung. Exotische Tiere waren immer auch Gastgeschenke der Kaiser und Könige und dienten der Repräsentation.
Repräsentationssinn beweist man indes auch heute wieder, wenn sich MGM eine kleine Population seines Symboltiers hält, hinter Glas, in den Casinohallen eines Hotels in Las Vegas.

Der Zoo bleibt ein gerissenes Gelände, gleichermaßen zerrissen wie raffiniert reißerisch. Kulisse einer Menschensehnsucht, eingebettet in eine Urbanität, die er vergessen machen soll, obgleich sie ihn erst ermöglicht.

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Traumfänger http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/traumfanger/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/traumfanger/#comments Thu, 16 Sep 2010 06:20:51 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1656 *Die Globalisierung erreichte mich mit dem Hypertext, der durch das schwache Signal einer Telefonanlage zu mir gelangte. Sie gab nächtliche, interplanetare Geräusche von sich. Zu diesem Zeitpunkt studierte ich und konnte mir nicht vorstellen, dass ich nicht nur niemals als Journalistin arbeiten würde, sondern dass die Zeit, die Mikroprozessoren und die Globalisierung mich zu der Überzeugung bringen würden, dass das Studium des Journalismus wie ein Studium zum Telegraphen-Operator ist.

*Im Jahr 2001 sah ich auf einem Kunsthandwerkmarkt in Südafrika zwischen peruanischem und ecuadorianischem Trödel einen kleinen Traumfänger aus orange-farbenen Federchen hängen. Es war dieser heilige Kreis, der sich in industriellem Maßstab wiederholt, aus Plastik oder Acryl gefertigt ist und bis zu seinen lächerlichsten Ausformungen getrieben wird, der auf virale Art und Weise in die Schlafzimmer von Millionen von Jugendlichen auf der ganzen Welt einfallen würde, um vergeblich die kollektiven Alpträume des neuen Milleniums aufzuhalten.

*Im selben Jahr, als Nicht-Journalistin, arbeitete ich bereits mit Menschen aus aller Welt und versuchte zu verstehen, was in San Fransisco, Seattle, Porto Alegre, Buenos Aires, Bangalore geschieht… alles zur selben Zeit. Die Dinge begannen, sich anders anzufühlen. In den Folgejahren würden wir lernen, dass wir miteinander mehr gemeinsam haben, als mit den Nachbarn der Wohnung nebenan, dieser Frau, die darauf besteht, ihre Zahlungen in der Zentralstelle des Elektrizitätsunternehmens zu tätigen und die sich bekreuzigt, wenn in den Nachrichten die sozialistische Partei genannt wird.

*Alle meine Freunde waren Aktivisten. Gemeinsam waren wir gegen viele Dinge. Jahre später würden wir uns bewusst werden, dass wir uns in wenigen Dingen einig waren. Damals redeten wir von der Globalisierung und ihren verheerenden Auswirkungen, von der ökonomischen Gewalt, vom Knirschen der Strukturen. Wir hörten von Weitem ein rabiates und unaufhaltsames Rudel kommen, eine Maschine, die arme Menschen fraß und ihre Reste ausspuckte, für den Export gepackt und etikettiert. All diese Dinge würden geschehen und mehr.

*Die Globalisierung findet ihr Territorium der Transaktion auf den Flughäfen. Durch die vielen Besuche trösten mich ihre universellen graphischen Konventionen des Gehen Sie hierhin, Setzen Sie sich dort hin, Durchgang verboten. Die Flughäfen und ihre weichen und harmlosen Speisen, ihre einheitliche Literatur, ihre mehrsprachigen Ansagen in den Lautsprecheranlagen. Dieser Unternehmertyp, der allen Unternehmertypen gleicht, dieses Mädchen, das in Urlaub fährt, um ihr wahres Schicksal bei den Armen dieser Erde zu finden, jene Reisenden, die immer zu schlafen scheinen, diese so stille Frau und ihre Kinder, die von einem Beamten der UNHCR begleitet wird.

*Manchmal, während ich ein Stück Papier schneide, fällt mir auf, dass es gar nicht so verrückt ist zu vermuten, dass diese Scheren in China vom Cousin des Chinesen gemacht wurden, der diese andere Schere gemacht hat. Dieses Buch, das mir gefällt, das euch in Deutschland gefällt, gefällt auch irgendeinem Typen in Singapur, der es in einem dieser Züge liest, in denen keine Portemonnaies geklaut werden. Und ich würde gerne mit Bestimmtheit sagen können, dass letzte Nacht, als ich aufwachte, um das Fenster zu öffnen, weil es sehr warm war, zur selben Zeit eine Frau in Senegal oder in Kroatien zum selben Punkt am Himmel schaute und an mich dachte.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Formular http://superdemokraticos.com/themen/burger/formular/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/formular/#comments Wed, 01 Sep 2010 07:00:28 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1345 Heute erhielt ich von meiner Anwältin die Nachricht, dass der Moment gekommen ist: Wenn ich möchte, kann ich mich nun, wann immer es mir beliebt, um die US-amerikanische Staatsbürgerschaft bewerben. Ich lud mir sofort das Formular aus dem Internet herunter, als ob es sich um Leben und Tod handelte, und fing an, es mit größter Geschwindigkeit auszufüllen.Vor einigen Jahren hätte mein linker Vater einen Kreislaufkollaps bekommen, wenn ich ihm gesagt hätte, dass ich der US-amerikanischen Flagge die Treue schwören und all die schrecklichen Zeremonien über mich ergehen lassen würde. Bestimmt wäre auch mein Kreislauf kollabiert. Ich habe gegen den Krieg demonstriert, habe alle linken Zeitschriften und Bücher von Revolutionären gelesen, die Dinge waren für mich sehr klar. Ich wollte dieses Land nicht mögen, ich wusste nichts über seine Geschichte oder seine Bevölkerung, und ich vermute, ich wollte auch nichts darüber wissen.

Aber die Dinge ändern sich. Nicht so sehr draußen, denn die Kriege und die Politik und die Folter bleiben dieselben, sondern in mir drin, auf einer privaten und sentimentalen Ebene. Das Leben zieht dich hinter sich her, öffnet dir den Mund und steckt dir den Finger hinein, es zeigt dir Dinge, die du nicht sehen wolltest. Ich lebe jetzt seit fünf Jahren hier und fühle mich zu Hause, auch wenn ich mich nicht „von hier“ fühle. Ich weiß nicht einmal, ob ich hier bleiben werde.

Aber mit der Staatsbürgerschaft könnte ich dort wählen, wo ich lebe und wenigstens Forderungen stellen, wozu die Steuern verwendet werden sollen, jene eingeschlossen, die wir Millionen von Einwanderern ohne Staatsbürgerschaft bezahlen. Ich könnte mich zumindest dafür einsetzen, dass die Bibliotheken erhalten bleiben, in die ich mich setze, um zu schreiben, die Universitäten, in denen ich studieren möchte und dafür, dass jene Menschen heiraten können, die heiraten möchten. Kurz und gut, um an der kollektiven Illusion der Demokratie und seiner Riten teilzunehmen. Und nun, ich vermute, es würde mir auch ermöglichen, für die Bundesregierung (der Vereinigten Staaten, Anm. d. Ü.) zu arbeiten, sollte ich irgendwann eine Spionin der CIA werden wollen.

Ich denke oft über die Staatsbürgerschaft nach, die ich heute habe, mit der ich geboren wurde, die costa-ricanische. Sie für eine andere einzutauschen, fühlt sich wie ein kleiner Verzicht an, auch wenn es keiner ist. Aber meine jetzige Staatsbürgerschaft ist die eines Landes, das es nur in meinem Kopf gibt. Das Leben erreicht mich nur, wenn ich die Tageszeitungen lese, ich im Internet herumhänge und wenn ich am Wochenende mit meinem Vater telefoniere. Jedes Mal, wenn ich körperlich da sein kann, gehe ich wählen, aber selbst so bringt es mir einen Dreck, weil das Land dort hingeht, wo es hingeht und nicht, wohin ich möchte, dass es geht. Die Staatsbürgerschaft hat sich für mich in ein vages Gefühl der politischen Zugehörigkeit zu einem Territorium verwandelt, in dem ich immer fremd sein werde, auch wenn ich nicht abwesend bin.
Ich hake fleißig die Kästchen des Formulars ab, das die nordamerikanischen Neurosen enthüllt: Nein, ich war nie Mitglied der Kommunistischen Partei, ich wollte niemals, außer in meinen tiefsten Träumen, mit Gewalt irgendeine Regierung stürzen, ich habe nicht zwischen 1933 und 1945 mit der Nazi-Regierung in Deutschland zusammen gearbeitet, ich war immer gut und wurde niemals verhaftet, ich habe weder die Prostitution noch die Bigamie ausgeübt, ich habe keine illegalen Wetten abgeschlossen, und ich weiß nicht, was sie damit meinen, wenn sie von einem Gewohnheitstrinker sprechen, aber vorsichtshalber werde ich das Nein ankreuzen.

Viele Menschen wünschen sich die Staatsbürgerschaft dieses Landes, einen legalen Status, der die Probleme von Millionen von Menschen lösen würde, die heute in der ökonomischen, familiären und persönlichen Ungewissheit leben. Nur die Privilegiertesten unter ihnen, wie ich, sind so einfältig, dass sie philosophische Erwägungen zu einem Problem anstellen, das sie nicht haben. Vielleicht ist es Teil des Spiels, vielleicht ist es gar nichts Großes, vielleicht hat es keine Bedeutung, aber ich habe das Gefühl, dass mir die Staatsbürgerschaft wenigstens erlauben würde, zu wählen, Einspruch zu erheben, den Respekt vor den Menschenrechten jener, die diese Entscheidung nicht treffen können, einzufordern.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Handgepäck http://superdemokraticos.com/themen/burger/handgepack/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/handgepack/#comments Wed, 18 Aug 2010 14:17:30 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=821 Wichtig ist das Essen – sagt Paul, der eine Tüte mit grünen Tomaten in der Hand hält. Paul leidet unter zwei Übeln, die nicht nur miteinander unvereinbar sind, sondern unabhängig voneinander unheilbar sind: unter Armut und gutem Geschmack, wenn es ums Essen geht. Jede seiner Bewegungen ist in gleichem Maße darauf programmiert, die Zutaten bestmöglich zu verwerten und gleichzeitig mit künstlerischer Großzügigkeit zu kochen. Das gemeinsame Essen mit Paul ist jener Moment, in dem Ernährung Sinn bekommt, und nebenbei wird jede ökonomische Theorie anschaulich, die erklärt, warum dieser Mann, ein treuer Konsument, den Korridoren der Supermärkte fern bleibt.

Wichtig ist der Sex – sagt Beth, während sie die Arme bewegt als ob sie zum Flug ansetzen wollte. Bist du sicher? frage ich sie. Dann lasse ich meine Arme fallen, einen auf meinen Kopf. Beth hat ein kleines Unternehmen, mit dem sie selbstgemachte Pornos produziert – mit bescheidenem wirtschaftlichem Erfolg. Mein Körper ist meine Religion, sagte sie einmal feierlich, und fügte hinzu, dass es nicht das erste Mal wäre, dass sie ihre Religion in ihre primäre Einkommensquelle verwandelte. Natürlich ist sie sich nicht sicher, die Sicherheit Beths ist temporär, als ob sie jeden Moment zum Flug ansetzen wollte.

Wichtig ist das Schreiben – sagte mir Martín, dessen Seiten immer weiß sind. Martín, was zum Teufel machst du? Solltest du nicht wenigstens eine Geschichte, eine Kurzgeschichte fertig schreiben? Solltest du nicht anfangen, ernsthaft daran zu arbeiten, dem Talent Einsatz und Engagement hinzufügen? Es ist nämlich so, dass man um zu schreiben, leben muss, und eine Sache stellt sich immer in den Weg einer anderen. Wichtig ist es dann also nicht, zu schreiben, sagt Martín, sondern Schriftsteller zu sein.

Wichtig ist, dass die Menschen wissen – sagt mir Carla. Sie möchte, dass „die Menschen“ die furchtbaren und mutigen Geschichten all der zentralafrikanischen Frauen, die sie so gerne hat, erfahren. Diese Arbeit ermöglicht es ihr, sich den ganzen Tag um die anderen zu sorgen und dadurch ihre eigene Geschichte zu vermeiden, die im Gegensatz dazu klein, traurig, pathetisch und verdächtig frei von Heldentum und feindlichen Umständen ist. Aber was machen wir, Carla, wenn die Menschen es wissen? Was wäre, wenn die Menschen wissen, aber weiterhin so leben möchten, als ob sie nichts wüssten?

Wichtig ist das Schlafen – sagt mein Bruder Adrián, der Notarzt ist. Schlafen, und wenn jemand Glück hat, am nächsten Tag aufwachen. Jedes Mal, wenn ich mitten in der Nacht die Augen öffne und den Geruch der Schlaflosigkeit wiedererkenne, fühle ich mich doppelt schlecht, weil ich den Schlaf vergeude, den andere verdienen. Mein Bruder fällt zu Beginn jedes Films, inmitten aller Feste und am Ende aller Unterhaltungen in den Schlaf. Wir haben die plötzlichen Schlafattacken als eine der vielen Wunder seiner Persönlichkeit akzeptiert. Niemand weiß, welche Ängste ihn nachts quälen, Alpträume der wachenden Menschen.

Wichtig ist das Rating – erzählt mir Mariana – oder das Äquivalent in Statistiken, Nutzer-Anwendungen, austauschbaren Besuchern. Wir haben keinen wirklichen politischen Standpunkt, sondern wir fischen Nutzer, Leser, Fernsehzuschauer… haben sie einmal angebissen, können wir den Fokus wechseln, um einen anderen Ausschnitt auszuleuchten. Mariana spezialisiert sich darin, eine überzeugende und begründete Darstellung einer Meinung zu erzeugen, die jedoch light genug ist, dass sich niemand dauerhaft beleidigt fühlt. Ihre intellektuelle Flexibilität erlaubt es ihr, nicht nur einen latenten Alkoholismus zu unterhalten, sondern auch eine eindrucksvolle Schuhsammlung in allen Farben.

Einmal zog ich mit einer einzigen Reisetasche, die nur Kleidung für eine Geschäftsreise von zwei Wochen beinhaltete, von einem Land in ein anderes. Darin gab es nichts von Bedeutung. Zehn Monate später kehrte ich in mein Land zurück, wo irgendjemand anderes alle meine Sachen aus meiner Wohnung entfernt hatte. Die Dinge waren auf verschiedene Orte verteilt und meine Kleidung, meine Bücher, meine Bilder, meine Küchenmesser fanden sich in mehreren Kisten wieder, aber unter all den Dingen fand ich nichts, was ich in mein neues Leben mitnehmen wollte. Heute ist es so, dass ich mir jedes Mal, wenn ich packe, darüber bewusst werde, dass ich nichts Unabdingbares mitnehme, und ich werde traurig. Ich würde gerne, wie all die anderen, die Bedeutung der Dinge verkünden, aber es gelingt mir nicht, es zu artikulieren.

Ich vermute, das Wichtige, wenn ich bereits im Flugzeug sitze, ist, dass es nicht abstürzt.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Regen und Körper http://superdemokraticos.com/themen/koerper/regen-und-korper/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/regen-und-korper/#comments Tue, 03 Aug 2010 07:00:20 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=555 * Der Körper ist die einzige Beziehung, die für immer ist. Es ist unmöglich, sich von ihm zu trennen und der Weg ist mühsam. Ich denke, zur Wertschätzung des eigenen Körpers gelangt man schrittweise. Erst muss man ein Melanom haben, erst muss eine Beule anschwellen, muss man sich das Bein brechen. Vor zwei Jahren befand ich mich in denselben Breitengraden und dachte an meinen Tumor, als sich meine lang gehegte Hypochondrie endlich bestätigte. Jahrelang war ich mehr an Ängste als an Schmerzen gewöhnt und endlich: ein runder und riesiger Ball, auf den ich meine Erwartungen konzentrieren konnte.

* Dieser Text überrascht mich, während ich im Wald, im kleinen Haus der Familie nahe der Küste im tropischen Urwald schlafe. Es ist Regenzeit, und die Unwetter füllen die Flüsse und überschwemmen die Felder. Am Morgen trinke ich Kaffee und verlasse barfuß das Haus, um die Erde zu fühlen. Es gibt winzige Schnecken, kleinste Frösche, Eidechsen, die über das Wasser laufen, Würmer, die zwischen den Fingern umher kriechen. Sie fliehen vor dem Schlamm, der sie verjagt, vor den Wassertropfen und Schritten, die sie bombardieren, das Koffein, das ich ausschwitze, alarmiert sie. Sie und ich, wir sind hier alle Körper.

* Meine Füße sind übersät mit Narben der vielen Wunden, die ich mir zuzog, wenn ich in eine Scherbe trat, meine Beine haben sich an Tischen und Surfbrettern verletzt, an Kanten im Asphalt, an hastigen Epilationen, am Leben in anderen Ländern, die ich – möglicherweise auf der Flucht vor diesem – bereiste. Während wir am Stand im Sand sitzen und uns die Haut und die Wünsche verbrennen, beobachte ich die Spuren. All diese kleineren Narben sind wesentlich offensichtlicher als die Narbe, die geblieben ist, nachdem sie mir den Tumor entnommen haben. Sie bleibt unter dem Badeanzug verborgen, als ob nichts geschehen sei.

* Wenn wir im Meer schwimmen, kennen wir unser Gewicht genau, die Leber ist schmerzhaft geschwollen vom Alkohol des gestrigen Tages. Wir vergiften uns immer wieder und unser Körper vergibt uns. Wir öffnen den Mund und füllen die Lungen mit Luft, was uns an die Oberfläche treibt und vor dem Tod rettet. Plötzlich beginnt es zu regnen, aber niemand stört sich daran. Der tropische Regen ist wie ein weißes Laken, das sich über die Menschen und Dinge legt. Manchmal scheint mir, als ob wir, ohne viel darüber nachzudenken, unter der Wasseroberfläche atmeten, und wir verdanken diese unwahrscheinliche Physiologie den Meeressäugetieren.

* Als ich geboren wurde, hatte ich keine Wiege, sondern eine Hängematte wie diese, in der ich nachts schlafe, und ich schaukelte unter dem Lichthof eines Moskitonetzes zwischen meinen Eltern und den Sternen. Auf diese Weise, während wir die Tropfen auf das Dach klopfen hörten, gingen wir mit weniger Angst schlafen. Manchmal vermisse ich diese Wärme ihrer Körper, ihre heilenden Hände, das Hin und Her der Hängematte in einer vorhersagbaren Parabel. Zwischen damals und heute sind die Leiden, Narben und Falten, Zweifel über die eigene und fremde Sterblichkeit, die Gesundheit und Krankheit, die sich wie Wellen abwechseln, ins Leben getreten. Die Hängematte trägt noch immer meinen Körper, dieses Geheimnis, das durch die ihm eigenen Gezeiten reguliert wird, eine feste Masse, die langsam abnutzt und alarmierende Formen annimmt, sich aber auch wieder, ohne es anzukündigen, regeneriert und die mich auf irgendeine Art und Weise immer noch in sich birgt.

Übersetzung: Marcela Knapp

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Schmutzige Gläser, volle Aschenbecher http://superdemokraticos.com/themen/koerper/schmutzige-glaser-volle-aschenbecher/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/schmutzige-glaser-volle-aschenbecher/#comments Tue, 20 Jul 2010 15:00:37 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=490 Ich hatte einen Juraprofessor, der in Deutschland studiert hatte und deshalb davon überzeugt war, dass er eigentlich Professor für Philosophie war. Mit ihm gingen wir das Konzept der Intimität durch, ein imaginärer Kreis, der uns umgibt, in den wir nur jene, eintreten lassen, die wir eintreten lassen möchten. Diesen Kreis stellte ich mir wie eine kleine Feier mit Getränken und Musik vor, wo wir alle nackt sind und die Türe offen lassen, wenn wir ins Bad gehen. Mein Professor sagte, dass uns dieser unsichtbare, aber machtvolle, Kreis vor den unverschämten Blicken der anderen schützt und uns unter anderem das Recht zuspricht, von ihnen in Ruhe gelassen zu werden. Was so viel bedeutet wie, dass ich die Türe jederzeit schließen und allen auf der Feier sagen könnte, dass sie ihre Kleider wieder anziehen und gehen müssen.

In der Intimität wissen wir voneinander ohne miteinander zu sprechen, manchmal sogar ohne uns anzuschauen. Wir erraten viel mehr, als wir wissen, und wir bewegen uns in einer Nähe, die es uns noch immer erlaubt, die Wärme der Haut des Anderen zu spüren. In der Intimität haben wir vor nichts Angst, am allerwenigsten vor dem anderen. Innerhalb dieses Kreises gibt es Gewissheiten, die der Rest der Welt niemals verstehen wird.

Aber Intimität bedeutet auch, alleine zu sein, sich den Raum zu geben und zu wissen, dass wir uns früher oder später wieder berühren werden. Niemals die Existenz dieses Teils von mir zu leugnen, den ich vor dir nie Preis geben werde, die Einzelheiten, die ich dir niemals erzählen werde, die Stille, die noch immer zwischen dir und mir besteht.

Ich weiß nicht, ob es die Jugend war, oder das Land, aus dem ich komme, aber mir scheint als ob die Intimität viel zugänglicher war, bereit stand, um sie in die Hand zu nehmen. Ich hatte augenblicklich Freunde, sofortiges Vertrauen, wir besuchten uns, ohne uns vorher anzurufen und öffneten den Kühlschrank, um zu schauen, was drin war. Wir wurden in wenigen Tagen intime Freunde und konnten uns Dinge mit großem zerstörerischem Potenzial erzählen. Auf der anderen Seite war es schwer, Dinge privat zu halten, unmöglich, etwas zu verbergen, nicht einmal die Superhelden mit ihren geheimen Identitäten können es.

Wenn man auf Englisch davon spricht, intime Beziehungen zu haben, bedeutet es, Sex zu haben, was mich immer verwirrt hat, da man Sex viel schneller bekommen kann als einen Freund. In der Stadt, in der ich lebe, oder vielleicht in dem Alter, in dem ich bin, kommt es mir vor, als ob die Intimität viel langsamer entsteht, das Vertrauen gewinnt man, die Freude sich zu sehen, erstreckt sich über Jahre, die Freundschaften sind tiefgründig und Stürmen ausgesetzt, aber sie entwickeln sich ausgehend von kurzen Nachrichten und sich wiederholenden Stunden.

Mal vermisse ich die eine, mal die andere Form. Manchmal würde ich mich gerne wieder in irgendeinen, der auf der Straße vorbeigeht, verlieben und ihm alle meine Ängste erzählen können. Manchmal erstaunt es mich festzustellen, dass mir jemand aufgrund kleiner Gespräche über Arbeit und Politik unentbehrlich geworden ist.

Durch das Durcheinander des Umzugs hat sich mein Kreis der Intimität auf ein Minimum reduziert. Die Feier ist zu Ende und schmutzige Gläser und volle Aschenbecher sind zurückgeblieben. Die Musik wird immer leiser, wir sitzen zu zweit oder zu dritt in einer Ecke und sehen zu, wie der Tag anbricht.

Übersetzung: Marcela Knapp

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