Deutschland – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Gruppen-Trolling in der fünften Internationale http://superdemokraticos.com/poetologie/gruppen-trolling-in-der-funften-internationale/ Fri, 16 Nov 2012 16:30:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6458

Wir sagen: Die fünfte Internationale kann nur im Netz entstehen.

Dort, wo Facebook der drittgrößte Staat der Welt ist, wo es keine Netiquette gibt, aber Nutzungsverträge, die niemand liest, wo Liebe wirklich immer ein Wort ist, wo Zustimmung nur einen Mausklick bedeutet, wo wir uns mit Unbekannten anfreunden und Bekannte entfreunden und wo das Dark Web von selbsterwählten Nerds und Hackern regiert wird, wo Nationalität, Hautfarbe und Geschlecht sich in HTML auflösen, sind wir Hyperlinks in einer hyperlinken Zeit.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur im Netz entstehen.

Innerhalb der Mauern der hyperlinken Zeit entwickelt sich die Utopie eines vormarxistischen Ursozialismus. Das hegelianische Fortschrittsdenken hat sich aufgelöst, die lineare Hoheitsbetrachtung der Geschichte hat abgedankt. Sich über die technische Revolution neu zu erfinden, bedeutet, flüssige Zeit- und Raumverständnisse zu vertreten. Zum Beispiel: am Berliner Schreibtisch bolivianisches Radio hören. Also muss heute jeder ein Anarchist sein. Denn das Internet bedeutet Freiheit, Unordnung, unkontrolliertes Sprechen und Schreiben, zumindest in seinem Idealzustand. Das freie Web lässt uns in kurzer Zeit einfach und schnell neue Ideen entdecken, Ideen, gegenüber denen es eventuell Vorurteile gibt. Gegebene Machtstrukturen werden durch diese Entwicklungen ernsthaft in Frage gestellt – die Reaktion darauf ist, dass im Namen von Sicherheit und Gerechtigkeit, Einschränkungen vorgenommen werden. Die Bullen sind schon da, aber wir fordern Wlan weltweit. Das Netz darf nicht kolonialisiert werden, es gehört allen.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur im freien Netz entstehen.

Vor allem sind wir im Netz sprachlich verfasste Wesen. Unsere Subjektivität stellt sich durch Worte und Bilder dar, in ästhetischen Entscheidungen, die sich auf kollektives Unterbewusstes beziehen. Die geheimen Sehnsüchte der Menschen treffen sich online.

Das Netz gibt uns die Möglichkeit, unsere eigene Minderheit weltweit maßzuschneidern, ständig vernetzt, oft allein, als Aktivisten für die Verbreitung von Inhalten. In der Anonymität unserer Avatare brauchen wir uns nicht an dominante Meinungen anzupassen – vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran, hoch, runter, lady bum. So können Stereotype eher gebrochen werden.

Daher ist das konsequenteste befreite Schreibverhalten das Schreiben von Blogs. Blogger sind bewusste Internet-Nihilisten. Ihre „zero comments“-Haltung ist eine positive Strategie für das Vorbeischreiben am Mainstream und am Verlagswesen der Bertelsmänner und Pinguine. Bertelsmannprodukte sollte man kennzeichnen wie Zigarettenschachteln. „Achtung: Die Pseudokultur, die wir verkaufen, kann ideologischen Schaden zufügen.“

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur in freien Räumen im Netz entstehen.

Wir sind umgeben von einer Ästhetik der Oberfläche. Das ist auch das Problem von linken Parteien und Institutionen, die sich auf eine oberflächlich-linke Ikonographie beziehen, die mehr der Nostalgie gewidmet ist als einem neuen Umgang miteinander. Hauptsache, Rot, Rot, Rot. Und mit Bart. Gerne auch ein Che-Guevara-Jutebeutel. Hammer und Sichel. Dabei ist das Arbeiterproletariat durch das Proletariat der Tastatur-Dienstleister ersetzt worden, die eher einem Chat auf Global English als einer Gewerkschaft beitreten würden. Doch wo ist die übernationale Lobby für die neuen Netzarbeiter? Wer kämpft für das globale Grundeinkommen von Freidenkern, die demokratische Strukturen aufrechterhalten wollen?

Das Internet muss als politischer und kultureller Ort aufgewertet werden. Es gräbt Klassiker aus und rettet sie vor dem Vergessen. Die Bibliothekare des Internets sind Kopisten, die ihre Lieblingstexte abschreiben, mit URLs versehen und der globalen Leserschaft schenken. Hyperlinke Autoren müssen sich stärker mit ihrem linken Stammbaum beschäftigen, auch mit dem Teil des Stammbaumes, der gezwungen war, Europa zu verlassen. Lateinamerika ist überfüllt von Anarchisten und Trotzkisten, zwei linken Minderheiten, die sich mit Kunst und ihrer Rolle in der Gesellschaft beschäftigt haben und die es nie groß in die Medien geschafft haben.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur durch Wissenskommunen entstehen.

Lasst uns über Trotzki reden. Er war einer der weniger Revoluzzer, die sich mit Kunst und Literatur beschäftigt haben. Ein Mann mit Bart. Und ein Exilant in Lateinamerika. Wir haben sein Haus im bürgerlichen Stadtteil Coyoacan in Megalo-Mexiko-City besucht. Seinen Bunker. Den Innenhof, in dem er Kaninchen und Hennen in Ställen züchtete, weil er glaubte, dass der revolutionäre Schreiber sowohl intellektuelle Arbeit als auch Handarbeit leisten müsse.

Die erste Bedingung für den Künstler ist die thematische Freiheit, um zu einer eigenen Ästhetik zu gelangen, schrieben Trotzki und Breton in einem gemeinsamen Manifest, das sie 1938 in Mexiko verfasst haben. Daher wird ein Roman, der den Untertitel „linker Roman“ trägt, als linker Roman scheitern. Das Andocken an eine linke Systemästhetik nimmt dem Kunstwerk seine ästhetische Eigenständigkeit. Wir müssen unterscheiden zwischen links als Label, als Aufkleber auf dem Fahrrad oder Auto, und zwischen hyperlinks als utopischem Aktionismus. Ein hyperlinker Autor ist der, der frei schreibt und als Mensch gerecht handelt. Freie Kunst wird von den orthodoxen Linken, die es in die Geschichtsbücher geschafft haben, nicht allzu sehr geschätzt.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann nur durch freie Geister im Netz entstehen.

Als freie Geister werfen wir uns tiefe Blicke zu, in denen sich die Gegenwart zur Unendlichkeit ausdehnt. Wir dürfen auch mal was Romantisches sagen. Die Zukunft, in der wir uns treffen, verläuft als kodierte Doppel-Helix, sie besteht aus unendlichen Kombinationen von Nullen und Einsen, Xen und Ypsilons. Die fünfte Sonne der Mayas fängt in diesem Jahr im Dezember an, ein neuer historischer Abschnitt beginnt. Es ist die Zeit gekommen, dass der hyperlinke Autor einen ganz neuen Menschen und neue Leserschaften erfindet, die sich über Grenzen hinweg organisieren. Sie alle brauchen Übersetzer, um plural und demokratisch zu bleiben, etwa wie Yoani Sanchez, die kubanische Bloggerin, deren Blog von Freiwilligen in etwa 20 Sprachen übersetzt wird. Trotzky sprach Spanisch mit russischem Akzent. Die neuen literarischen Netzaktivisten lesen und schreiben auch mit Akzent, sie sind fehlerhafte Mestizen mit vielen Augen und Sichtweisen.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale fordert: Benutzt „FREE GOOGLE TRANSLATE“.

Es müssen neue Tätigkeiten anerkannt werden: Statt Toto Lotto zu spielen, sollte jede Woche der beste Tweet mit 30.000 Euro ausgezeichnet werden. Aphorismen zu schreiben, ist hartes Brot. Wenn schon Facebook alle unsere Inhalte speichert und auswertet, sollte der Konzern auch ab und zu das beste Foto kaufen. Wer seine Lieblingsbücher einscannt oder abtippt und für die Netzbibliothek digitalisiert, verdient einen fairen Lohn. Genau wie Programmierer und Entwickler von freier Software. Wenn Trotzki heute im Exil wäre, würde er von Mexiko aus nonstop über alle Kanäle kommunizieren. Trotzki wäre ein durch crowdsourcing finanzierter Troll. Aber Trolling gegen eine Regierung ist schwieriger als man es sich vorstellt. Derzeit setzen viele Länder Facebook-Polizisten ein, die einzelnen Personen auf ihren Internetprofilen Drohungen hinterlassen, das ist für Bolivien, Venezuela, Iran so, in Spanien, Griechenland, Italien wird zur Zeit über ähnliche Maßnahmen diskutiert.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale wird von hyperlinken Trollen aufgebaut.

Hyperlinke Trolle handeln stets im Sinne der Gruppe, für die sie kämpfen und leisten Lobbyarbeit für hyperlinkes Gedankengut. Sie schreiben obsessiv über ein Thema, überall, wo sie können, auch wenn sie nicht dafür bezahlt werden. Sie sind provokant. Worte sind ihre Waffen. Sie verstecken ihr Gesicht nicht in einer Sockenpuppe, sondern stehen öffentlich zu ihrer Meinung. Sie reagieren impulsiv, sind kommerziell-unbewusst, nicht am Markt, sondern an Menschen orientiert. Daher ist eines der Grundgebote der hyperlinken Trolle das Teilen: Das ist die bessere Nächstenliebe! So bauen sich diese Einzeltäter textuelle Kooperativen auf, welche unabhängig und selbstständig Inhalte weitertrollen. Solidarität unter Trolls ist ein Muss, Gruppen-Trolling ist die revolutionäre Taktik.

Daher sagen wir: Die fünfte Internationale kann sich nur durch Gruppen-Trolling im Netz verbreiten. Deutschland, vergiss deinen Impfpass. Relajate y disfruta.

]]>
Ich http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ich/ http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ich/#comments Fri, 01 Jun 2012 07:04:24 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6434 Ein bolivianischer Freund fragte mich kürzlich: Warum willst du in dieses país-no país gehen, in dieses Land, das keins ist? Das ist seine Sicht auf Bolivien. Natürlich ist Bolivien ein Land, ebenso wie Deutschland, Kamerun oder Thailand, mit seinem eigenen Charakter. Doch bleibt die Frage: Was zieht mich dorthin? Es fällt mir schwer, das in Worte zu fassen. Die Geschichte begann vor langer Zeit, als mich mit 16 Jahren der Zufall an einen Ort namens Tarija im Süden des Landes verschlug, ein Weinanbaugebiet mit mildem Klima unweit der argentinischen Grenze. Hier verbrachte ich ein Jahr, das mir anfangs unendlich erschien. Ich schrieb Briefe an meine Familie und Freunde in Berlin, die ihr Ziel nach durchschnittlich sechs Wochen erreichten, wenn sie überhaupt ankamen. Meine Mutter rief mich wöchentlich an und zahlte horrende Telefonrechnungen. Die schnellste Art der Kommunikation war neben dem Telefon das Fax; eine Maschine, die beim Empfangen von Nachrichten schiefe Melodien erzeugte und im Minutentakt eine Zeile ausspuckte. Den kommunikativen Beschränkungen geschuldet, entfernte sich mein Zuhause auf der anderen Erdhalbkugel zunehmend, während mein Aufenthaltsort immer präsenter wurde. Als ich nach Europa zurückkehrte, um mein früheres Berliner Leben wieder aufzunehmen, verstand ich nicht, was mit mir los war. Es fühlte sich nicht an wie vorher. Ich stellte fest, dass irgendetwas von mir dort geblieben sein musste.

Ich ging es Jahre später suchen, als ich zurückkehrte, um einige Zeit in La Paz zu verbringen, der auf 4.000 Meter Höhe gelegenen Stadt in der Form eines Topfes, in der es immer gleichzeitig heiß und eisig ist. Ich begriff, dass diese Zeit vor ein paar Jahren keine verstreute Randnotiz gewesen war. Ich fand nicht, was ich suchte, aber stattdessen Neues, Unerwartetes, wie meinen tarijeñischen Freund. Es folgten Jahre des Kommens und Gehens, in denen ich mich, stets im Aufbruch begriffen, wie ein Vogel von Norden nach Süden bewegte. Seit meinem ersten Aufenthalt in Bolivien war die Technologie vorangeschritten. Über das Internet und Chatprogramme führten wir „Videokonferenzen“, konnten uns in 2D in unseren eigenen Umfeldern beobachten. Im Cyberspace schufen wir unsere eigene Welt, unsere Sprache, unsere Codes. Ich fragte mich, wie Paare vor fünfzig, hundert Jahren die Distanz überbrückt hatten. Was hatten sie in Notfällen unternommen und seien sie emotionaler Art?

Ich lebte gleichzeitig hier und dort und war nirgendwo angekommen. Mit der Zeit entwickelte ich eine Art geografische Bipolarität. Meine Freunde sagten, ich solle endlich realistisch werden und mein Leben in Berlin beginnen. Sie verstanden nicht, dass dies alles sehr real war. Und es war keine Frage des Auswählens. Doch obwohl die virtuellen Hilfsmittel eine Nahezu-Gegenwart schaffen, ist ein Chat nicht das Gleiche wie ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Während Vorstellungskraft und Ausdauer übernatürliche Kräfte entwickeln, zeichnet sich körperliche Nähe durch ihre Abwesenheit aus. Sex wird zu einem abstrakten Konzept. Liebe schrumpft zu Emoticons zusammen: <3 oder :*. Ich fragte mich, wie viel seit dem letzten Treffen vom „Wir“ geblieben und wie viel zu einer Idee geworden war.

Schließlich beschloss ich, nach Bolivien zu ziehen. Es fällt mir schwer, mein Bedürfnis zu erklären, immer wieder in jenes Land zurückzukehren, das meinem so fern und so fremd ist. Ob es am weiten und ruhigen Hochland liegt, die Nähe zum Himmel, die mich glücklich macht? Ist es, wie eine bolivianische Freundin beschrieb, die existenzielle Angst, die einen begleitet, etwa wenn man im Bus zwei Zentimeter vom Abgrund entlangfährt? Ist der Grund mein imaginärer Freund? Oder der verseuchte See, an den wir fahren, um Fischchen zu essen? Ist es das, was ich suche? Möglicherweise habe ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr einfach einen sprunghaften Puls, der mir keine Ruhe lässt. Ich kann weder eindeutig erklären, warum ich gehen will, noch was ich suche. Ich bin mir einzig ziemlich sicher, dass die Sehnsucht meine treue Begleiterin sein wird. Sollte ich keine Bleibe finden, weiß ich immerhin, dass der Cyberspace mich stets willkommen heißen wird.

]]>
http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/ich/feed/ 2
10 Punkte für ein neues Urheberrecht http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/10-punkte-fur-ein-neues-urheberrecht/ Mon, 21 May 2012 09:32:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6358 Aus aktuellem Anlass habe ich mich mal hingesetzt und ein paar Punkte für ein neues Urheberrecht entworfen, denn das derzeitige scheint nicht mehr so richtig zu funktionieren. Es ist kompliziert, und ich habe bestimmt einiges nicht bedacht, daher bitte ich um Ergänzungen.

1. Der Künstler, Journalist oder Musiker ist kein „Filter“ (Piratin Julia Schramm, bei Minute 2:29:31 im Podcast bei „Wir müssen reden“)? , sondern ein Mitteilungsmedium. Ihm/ihr gehört seine Mitteilung als geistiges Eigentum. Er ist der erste, der sie verkaufen und verbreiten darf. Sobald er sie aber verkauft oder verbreitet hat, gehört ihm seine Mitteilung im klassischen Sinn nicht mehr. Sein Name und die Originalquelle müssen jedoch bei jeder Weiterverbreitung genannt werden.

2. Wer die Mitteilung eines Künstlers privat kostenlos genießt, darf das. Das ist nicht illegal.

3. Wer mit Verbreitung der Mitteilung eines Künstlers Geld verdient oder verdienen will, muss den Künstler bei der Erstverbreitung ausreichend entlohnen. Bei Wiedernutzung (Klicks bei Youtube) wird an den Künstler ein Anteil gezahlt, der sich aus den Klickzahlen berechnet.

4. Wir brauchen einen echten Mindestlohn für Kunst-Verwertung! Nutzungsverträge, die weniger als den derzeitigen Mindestlohn (umsonst) einbringen, dürfen nur über die einfachen Nutzungsrechte abgeschlossen werden. D.h. ein Journalist verkauft seinen Artikel nicht mehr dem Verlag inklusive aller Rechte, sondern verkauft seinen Artikel für die einmalige Nutzung und kann seinen Artikel weiterverkaufen, -veröffentlichen, etwa auf seinem Blog. (War übrigens so bei LSD als wir noch Geld hatten).

5. Nutzungsverträge über die umfassenden Nutzungsrechte müssen ein faires Honorar enthalten.

6. Öffentlich-rechtliche Medien müssen eingekaufte Inhalte dauerhaft öffentlich im Netz zugänglich machen. Sie dürfen als nur noch so produzieren, dass sie die Rechte länger als für 7 oder vierzehn Tage haben, etwa rechtefreie Musik verwenden und damit eine Band bekannter machen, etwa Musik komponieren lassen und damit neue Jobs schaffen, teure Bilder nicht verwenden, sondern zeichnen lassen, also: kreativ die Inhalte herstellen, die dauerhaft nutzbar sein können, am besten auch mit Hilfe von „Urhebern“, die dafür einmalig und gut bezahlt werden.

7. Der Künstler selbst muss entscheiden, wie sein Werk verändert, geteilt, genutzt, kopiert werden darf. Nicht die Urheberrechtsverträge und Urheberrechtler. (Es ist derzeit etwa vollkommen unmöglich, das ist meine eigene Erfahrung, Standardverträge zu verändern, etwa nur das einfache Nutzungsrecht zu verkaufen, um das Recht an Texten zu behalten, die ja eh schnell entsorgt werden, wenn sie kein Riesenerfolg werden)

8. Die Verlinkung von Werken ist kein Verstoß gegen das Urheberrecht.

9. Nationales Urheberrecht ist gleich internationales Urheberrecht. Das Netz ist ein internationaler Markt.

10. Identische Kopien sind keine künstlerische Mitteilung.

]]>
Spanisch verstehen http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/spanisch-verstehen/ Wed, 21 Mar 2012 10:57:00 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6316 Unsere Übersetzerinnen der Agentur In-Kult ziehen ein Fazit: Übersetzungsschwierigkeiten, Herausforderungen, Ansprüche und Fehlerteufel beim Hin und Her zwischen den Sprachen Spanisch und Deutsch.

In einem fremden Land lernt man mit vielerlei Dingen zurechtzukommen, ohne sie nachvollziehen zu können. Man weiß wie das System funktioniert, oder wie es gerne funktionieren würde. Man lernt nette Gesten und nicht ganz so nette Gesten voneinander zu unterscheiden. Man lernt Ironie zu verstehen und Witze zu kapieren. Aber es werden immer genug Dinge übrigbleiben, die einfach komplett unbegreifbar sind. Wenn man als Übersetzerin arbeitet, setzt man sich damit auseinander, mit den verschiedensten Ausdrücken, Sätzen oder Wortspielen, die ungefähr zwei Seiten Erläuterung benötigen würden, um sie in all ihren Bedeutungen übersetzen zu können.

Natürlich, das ist die Essenz einer Sprache, und genau darum geht es: zu übersetzen, aber es gibt immer wieder Sätze, die wesentlich weiter vom Original entfernt sind als andere. Hier sind ein paar Beispiele, die wir bei der Übersetzung der LSD-Texte durchlebt haben:

„La felicidad“, man hört es in fast jedem spanischen Lied. Bekannt, aber unübersetzbar bleibt dieses Wort für uns, weil wir uns jedes Mal für ein Teil seiner Bedeutung entscheiden müssen. Glück, Glücksgefühl, Glücklich-Sein, aber als eigenständiges Substantiv. „La felicidad“ ist ein Lebenseinstellung, ein Lebensziel… das oberste Ziel des Lebens sogar, und Glück scheint im Deutschen eher zufällig und vorübergehend.

So wie wir es in Deutschland ganz oft vermeiden müssen, einige hier rassistisch konnotierte Ausdrücke zu benutzen, wegen der Vergangenheit, der Geschichte, werden in einigen Länder in Lateinamerika solche Wörter so leichtfertig benutzt, dass man Bauchschmerzen kriegt, und das ebenfalls wegen der jeweiligen Geschichte. Nach der Kolonialisierung und allen Unabhängigkeitskriegen werden einige Wörter wie „Schwarz“ oder „Rasse“ sogar in einem positiven Sinn benutzt. „Negrito“, „Schwärzchen“, kann ein liebevoller Kosename sein und ein „escritor de raza“ ist weniger „Rassen-Schriftsteller“ als ein Schriftsteller aus Berufung.

Soziale Zusammenhänge, die einige Witze, Ironie oder einfache Beschreibungen ausmachen, müssen für den Leser bekannt sein, um alles verstehen zu können. Die Frage, die sich uns immer stellte, war: Inwieweit kann man einen interessierten, gebildeten Leser voraussetzen, ohne einen zu elitären Anspruch an die Leserschaft zu haben? Vielleicht kennen die meiste deutsche Leser des Blogs Borges, aber kennen sie auch Cortázar oder Facundo Cabral? Wissen sie von der Herkunft Evo Morales‘ oder warum er immer diese Ponchos trägt? Wie weit müssen wir ausholen, um einen Piropo verständlich zu machen? Haben die argentinischen Leser von dem Guttenberg-Skandal gehört? Oder die kolumbianischen Leser schon etwas über Hartz VI gelesen? In einem Blog ist es ja möglich immer ein Link zu setzen, aber müssen wir dann die Leser so behandeln, als ob sie nicht selber recherchieren können?

Es ist immer schwierig, zwei Welten zusammenzubringen, zwei Sprachen, mit all ihren Dialekten, Soziolekten und Feinheiten, aber dass ist die Aufgabe, der wir uns als Übersetzerinnen gestellt haben. Die Dynamik eines Blogs, technische Schwierigkeiten, internetfreie Zone, der Zeitdruck einer Live-Berichterstattung wie von den beiden Buchmessen – Frankfurt und Guadalajara – und der Stil einiger Autoren waren die besten Freunde der niedlichen, kleinen Fehlerteufel. Dennoch haben wir uns über Ozeane hinweggesetzt, Diskurse über-setzt und mit „Los Superdemokraticos“ und dank dem Internet zeitgenössische Autoren aus Lateinamerika und Deutschland so zeitnah und interaktiv zusammengebracht, wie es vorher noch nie der Fall war.

]]>
Jahresende, Explosionen http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/jahresende-explosionen/ Sat, 31 Dec 2011 09:52:13 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6297 Die Zeit zwischen den Jahren, wie man auf Deutsch sagt, also die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, sind ruhige Tage. Die Hauptstadt ist leer. Einzig Touristengruppen auf der Friedrichstraße am Checkpoint Charlie trauen sich in das nass-kalte Wetter. Die meisten Menschen ruhen sich  vom Festessen und Endjahresstress aus, schauen ein paar Blockbuster im TV, ordnen Geschenke in die Regale, telefonieren, schweigen, schlafen. Bis dann am letzten Tag des Jahres die Böller kommen. Sie kommen von vorne, von hinten, von oben, am 31. Dezember, wenn es dunkel wird, ist es schwierig, ihnen auszuweichen. Einmal habe ich ein paar Jungs, die gerade dabei waren, etwas zu zünden, zugerufen: „Hey, Jungs, ich hab einen Tinnitus, bitte wartet kurz mit eurem Knaller, bis ich vorbei bin.“ Und sie: „Klar, kein Problem, liebe Dame.“

Diese durch Explosionen immer wieder aufgeweckte Besinnlichkeit könnte ein Bild für den Literarischen Aktivismus sein, ein Verhalten, das wir uns von Superdemokraticos immer wieder auf unsere Fahnen geschrieben haben, dem wir das Monatsthema Dezember, aber auch eine Anthologie gewidmet haben, die für fünf Euro beim Verlag Milena Berlín zu kaufen ist, der sich gründete, nachdem die Verleger 2010 bei der Frankfurter Buchmesse einen Stand besetzten. Literarisch aktiv sein heißt nämlich, sich für die Literatur auch körperlich einzusetzen, nicht nur monetär. Für Autorinnen und Autoren, für Orte, an denen Literatur stattfindet. Heißt, Freiräume aufzusprengen, Aufmerksamkeit zu gewinnen, heißt, sich für etwas, jemanden zu entscheiden, heißt, eine Meinung zu haben, sich nach vorne zu stellen, mit Gesicht, mit Stimme, mit Mikro. Heißt, das Publikum zu schätzen, das mit den Füßen abstimmt. Mal sehen, wer heute kommt, ob jemand kommt…

Als ich 1999 nach Berlin umzog, mit Gedichten in meiner Tasche, lief ich von Lesung zu Lesung, um die anderen Dichter kennenzulernen. Die sollte es doch hier geben. Wo waren sie denn? Zunächst fand ich Veranstaltungsankündigungen in Zeitungen, dann fand ich Bekannte, Komplizen, Vertraute, Verrückte, war Mitglied verschiedener privater Lyrikkreise, die alle gemeinsam hatten, dass der Rotwein floss und die Luft aus Qualm waberte, dass die Egos aneinanderprallten, dass aber auch gemeinsame Publikationen erschienen. Ich organisierte mit anderen eine Lesebühne (visch&ferse), die sich jährlich auflöste und wieder neugründete, und einen mehrsprachigen Salon, den Hinterzimmer-Salon. Mal wurde ich eingeladen, mal lud ich ein. Mal stritt man sich, mal versöhnte man sich, manchmal las man sich nur noch auf Facebook. Da war etwas kaputt gegangen. Explosionen können gefährlich sein.

Aber zum Glück ist das Vertreten von Texten, die Text-PR, so emotional, so im- und explosiv. Neues entsteht, wenn Altes vergeht. In der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift Am Erker wurden gerade 13 Autorinnen und Autoren gefragt, ob zwischen Schriftstellern Freundschaft möglich sei. Allein diese Frage zeigt schon, wie vermint der Boden ist, auf dem sich Schreibende bewegen. Das Jahr ist zu Ende. Wir machen weiter. Weil wir daran glauben, dass nach dem Knall ein Nachhall bleibt. Wenn man zusammen an etwas glaubt und arbeitet.

]]>
schluss mit dem wackelkontakt http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/schluss-mit-dem-wackelkontakt/ Wed, 28 Dec 2011 10:28:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6261 in einer stadt mit einer dichten dichte an dichterInnen dichten heisst dichten sprich schreiben sprich literatur(be)treiben aktiv sein schlechthin und das in einer stadt mit zweihundert nationalitäten davon hundertdreiundsechzig allein in meinem neukölln heisst ein zwischenspiel der vielen sprachen begegnen lesen übersetzen lesen und dann natürlich bierchen trinken das gehört dazu so könnte ichs mir vorstellen aber

leider bleiben die verschiedenen gruppierungen meist unter sich in dieser stadt obwohl man hats versucht ich denke an rage into the night im st. gaudy café oder ähnliche mehrsprachige lesungen im alten finanzamt oder eben auch der schöne samstagnachmittagliche hinterzimmersalon von einst oder eine schöne von lauter niemand bzw. no mans land veranstaltete schifffahrt an einem verregneten samstag im vergangenen sommer wo neben deutsch auch englisch und spanisch zu hören waren zumindest solange der wackelkontakt im mikrofon es zugelassen hat ja

das ist es vielleicht

den wackelkontakt aufzuheben der das gemeinsame literaturmachen stört sogar verhindert i have a dream

worin besteht denn meine ganz persönliche beteiligung in der literaturszene in dieser stadt? bekanntschaften und freundschaften unter schreibenden die lyrik und prosa schreiben sowohl englisch als auch deutsch ich gehe zu deren lesungen und treffe sie gelegentlich auch privat das könnte man nennen: passiver literaturaktivismus ich schreibe selbst lyrik auf englisch und übersetze deutsche lyrik vorwiegend von meinen freundInnen und bekannten ins englische übersetzungen die dann in zeitschriften erscheinen zum beispiel bei no mans land oder shearsman oder great works oder horizon review oder litter aber auch in einigen german poetry special features die in den usa erschienen sind – in der chicago review in der atlanta review in LITmag in shampoo und 2010 erschienen bei shearsman books auch meine übersetzungen von norbert hummelt im band berlin fresco dann noch zweisprachige lesungen unter anderem auch im poets corner im poesiefestival berlin oder in der lettretage gemeinsam mit andré jahn der meine gedichte ins deutsche übertragen hat aber auch auf besagtem boot an besagtem verregneten samstagnachmittag im sommer was man aktiver literaturaktivismus nennen könnte so habe ich sozusagen ein fuß in beiden lagern

im anglophonen lager ist mal mehr mal weniger los mit lesungen und regelmäßigen austausch mit anglophonen communities in prag paris amsterdam und mit kontakten auch zur insel denn jedes jahr im november gelingt es lyriker und lyrikerinnen aus großbritannien und anderen europäischen städten nach berlin zu locken um bei poetry hearings teilzunehmen unserem festival von anglophoner poesie in berlin habe ich prag erwähnt

denn

dort habe ich etwas erlebt was als vorbild dienen könnte wie man und frau die voneinander abgegrenzten literaturaktivismen in berlin zusammenbringen könnte i have a dream

it goes something like this

es wird gemeinsam in verschiedenen sprachen auf einer bühne gelesen – deutsch englisch spanisch französisch russisch und jede andere sprache in der in berlin geschrieben wird – und alle vorgetragenen texte werden vorher übersetzt in die jeweiligen anderen sprachen übersetzt und dann entweder mit vorgetragen oder projiziert

aber so was kann nur dann funktionieren wenn finanzierung gefunden wird um die übersetzungen zu bezahlen oder wenn engagierte menschen die übersetzungen unentgeltlich übernehmen wie ich so oft getan habe und soll das ganze denn an dem schnöden geld scheitern aber das wäre realer literaturaktivismus literarische integration

i have a dream

]]>
Verkaufen lernen http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/verkaufen-lernen/ Sun, 25 Dec 2011 07:32:06 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6256 Wie alle Verlegerinnen und Verleger wollte ich zunächst dichtend zu Ruhm kommen. Auch in meiner Schublade verbirgt sich ein Roman. Umso größer war mein Schock, als ich erkennen musste, dass ich ein guter Verleger bin, doch kein guter Dichter.

Dabei war ich doch nur durch Zufall zum Verlegen gekommen, aus der Liebe zur Literatur heraus. Ursprünglich wollten Werner Labisch, mit dem ich dann den Verbrecher Verlag gründete, und ich lediglich Manuskripte von einigen Autorinnen und Autoren bekommen, kopieren und in unsere Privatbibliothek einfügen. Es waren Manuskripte, von denen wir dank diverser Quellen wussten, dass sie in absehbarer Zeit nicht verlegt werden würden. Es war reine Fanhaltung, die uns zu Verlegern werden ließ – denn irgendwie kamen wir nicht mehr raus aus dieser Nummer.

Mit der Fanhaltung gingen wir auch ans Werk, als wir unsere Verlagsarbeit professioneller gestalten wollten. Wir setzten uns gegen gut gemeinte Ratschläge zur Wehr. Ein Buch gefiel uns nicht – wir druckten es nicht, auch nicht, wenn es sich sicher hätte gut verkaufen lassen. Man müsse Kompromisse machen, sich dem Literaturbetrieb andienen – nein, nicht mit uns. Das Ergebnis dieser Haltung spüre ich noch heute, immer dann, wenn ich Rechnungen bezahlen muss.

Der Verbrecher Verlag, den ich seit einem Jahr allein besitze, hat sich mit dieser Haltung einen gewissen Ruf erarbeitet. Und auf die allermeisten der inzwischen weit über hundert Titel, die in diesem Verlag erschienen sind, bin ich auch sehr stolz. Dennoch waren die Verkäufe zumeist nicht gut. Keine Autorin und keiner unsere Autoren kann allein davon leben, dass die Bücher bei uns erscheinen, auch die zugehörigen Lesungen ändern daran nichts.

Es musste also etwas umgestellt werden in unserem Verlag. Die Haltung musste korrigiert werden, wenn ich nicht wollte, dass der ganze Laden untergeht. Zunächst einmal galt es zu begreifen, was ein Verlag tut. Ein Verlag, so wurde mir bald klar, ist ein Formumwandler. Er verwandelt Literatur, also Kunstwerke, in Ware. Handelsware. Der Verlag macht einen Text handelbar. Wir sind, auch im Internetzeitalter, noch immer weit davon entfernt, dass Autorinnen und Autoren ihre Bücher selbst in eine solche Warenform überführen und zugleich davon leben können. Zumindest ist das in den westlichen Staaten so. Und es liegt nicht zuletzt am Kapitalismus.

Aber auch noch an etwas Zweitem liegt es: ein zu verkaufender Text braucht eine Aura, die erst verleiht ihm den nötigen Fetischcharakter, um als Ware funktionieren zu können. Diese Aura herzustellen ist Teil der Verlagsarbeit. Ich bestreite nicht, dass Schreibende diese Arbeit nicht auch selbst erledigen können, doch es gilt als anrüchig, wenn Schreibende ihre Werke selbst anpreisen. Ein Verlag aber kann, nein, muss dies tun. Er muss die Ware verkaufen, muss Lärm machen, muss die Zeitungsredaktionen bestürmen, um Besprechungen zu bekommen, er muss ein Spektakel veranstalten. Das ist die Aufgabe eines Verlags im Kapitalismus, egal, ob der Verlag ein linker ist, ein unpolitischer, ein rechter. Egal, ob er Scheiße verkauft oder Gold.

Ich merkte, ich kann ganz gut verkaufen. Ich merkte, ich kann das weitaus besser als schreiben. Werner Labisch hingegen hat sich dafür entschieden, hauptberuflich Autor zu werden. Ich beneide ihn um seinen Job.

Wenn ich aber auch nicht so gut schreiben kann (natürlich denke ich, dass ich nicht allzu schlecht schreibe), so kann ich doch lesen. Und noch immer kann ich nicht verlegen, was vielleicht bestsellertauglich sein könnte, mir aber nicht gefällt. Doch ich kann mich anders für das einsetzen, was mir gefällt. Als Verleger, als Warenproduzent, als jemand, der das Spektakel um die Bücher mit inszeniert, als Teil des Literaturbetriebs.

Dabei habe ich eine Hoffnung. Ich hoffe, dass sich die Kunst, die ich in Ware verwandelt habe, in den Händen jener, die die Bücher im Laden, im Internet, mithilfe ihres E-Book-Readers oder sonst wo kaufen, die sie in Bibliotheken ausleihen oder geschenkt bekommen, wieder in Kunst verwandelt. Dass die Texte ihre Warenförmigkeit verlieren, das die, wie Brecht sie nannte, heilige Ware Buch dann, wenn jemand in ihr liest, wieder zum Medium von Kunst wird.

Wenn dies gelingen sollte (es gibt Anzeichen dafür), dann ist es möglich die gleichen Bücher, mit denen man früher versuchte, gegen die kapitalistische Warenwelt zu reüssieren (und bei diesem Versuch produzierte man ja letztendlich trotzdem Waren, der Kapitalismus schert sich einen Dreck darum, was du in deiner Nische denkst), nun sogar mehr Leuten zugänglich zu machen – und zugleich können die, die die Bücher schreiben besser davon leben. Mit den Wölfen heulen, gegen sie. So könnte es gehen. Daran arbeite ich gerade. Und ich kann nicht sagen, dass es keinen Spaß macht.

]]>
Que padre, que madre! http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/que-padre-que-madre/ Mon, 05 Dec 2011 23:05:28 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6136 Unser Messeblog lag ein paar Tage brach, unter anderem, weil das Internet brachlag. Unterdessen ist viel passiert, aber ein paar Sätze und Einsichten und Begegnungen bleiben. Ein Abschlussbericht.

Oft wurde zu lange geredet, bis der Punkt kam: So wollte ich gerne über die Buchpräsentation der jungen Journalistin Ana Lilia Pérez schreiben, die ihr Aufdeckungsbuch „Das schwarze Kartell“ über die Verbindungen der Drogenmafia zur Benzin- und Ölfirma Pemex auf der 25. Buchmesse in Guadalajara vorstellte. Aber es war wieder eine dieser hier typischen Buchpräsentationen, die damit beginnen, dass rezensionsartige Essays zu dem Buch vorgelesen werden. Was oft spannend ist, aber es dauert eben… Und ich habe nach 45 Minuten den übervollen Saal verlassen, ohne die Stimme der Autorin überhaupt vernommen zu haben. Ähnlich ging es mir bei der Diskussion mit dem Chefredakteur von El País, Javier Moreno, Philip Bennett von der „Washington Post“, Suzana Singer, „defensor de lector“, einer Art Ansprechpartner für die Rechte der Leser, bei der größten brasilianischen Zeitung „Folho“ mit einer Auflage von 400.000 pro Tag, und Alejandro Santos Rubino von der Zeitschrift „Semana“ in Kolumbien. Sie sollten uns davon erzählen, wie sich der Journalismus nach Wikileaks verändert hat, aber erstmal fasste Bennett die Geschichte von Wikileaks auf Wunsch der Moderatorin zusammen, als ob wir noch nie etwas davon gehört hätten. Javier Moreno schaffte es, sein klandestines Treffen mit Julian Assange in Zürich, auf 15 Minuten langzubügeln. Allein Suzana Singer kam zum Punkt: „Folho“ hat nach Wikileaks einen eigenen Kanal eröffnet, durch den Leserinnen und Leser anonym und sicher „denunzieren“ können, was bisher 320mal genutzt wurde und wodurch drei Zeitungsgeschichten entstanden, etwa zur Veruntreuung öffentlicher Gelder. Weitere Erkenntnis: Wikileaks enthielt bisher nicht viel relevantes Material für Lateinamerika, war sehr spezifiziert auf USA und Europa. Und: Die Plattform braucht Journalisten, die die Menge an Information filtern.

Es war also wirklich eine Fiesta vieler vieler Worte, oder, wie die Frankfurter Buchmesse in ihrer Abschlusspressemitteilung schreibt, eine Fiesta des Wortes. Sie gibt alle Zahlen und Fakten bekannt, die in eine Pressemitteilung gehören: 2.500 Menschen hörten dem Auftaktgespräch zwischen Herta Müller und Vargas Llosa zu, auf den 50 Literatur- und Fachveranstaltungen zählte die Messe rund 8.500 Besucher, am deutschen Pavillon präsentierten sich 42 Einzelaussteller, 20 deutsche Verlagsvertreter waren angereist. Die FIL selbst präsentierte mehr als 500 Bücher, darunter 25 Nachwuchsautoren aus Lateinamerika, die „25 Geheimnisse„.

Aber sind Zahlen nicht bloß leere Zeichen für Powerpoints der Marketing, Rights und Sales Manager, die nichts über die unverständlichen Wege der Literatur aussagen? Gar nicht so unverständlicherweise ging es daher in vielen Gesprächen auf den Podien, in den Salons, aber auch auf Parties um die „Macht der Sprache“ selbst, wie ein Slamgedicht von Bas Böttcher heißt, das er auch live vortrug.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Ydhxo4DyPFc[/youtube]

Es ging um das Sich-Verstehen, das Einhören in eine neue Sprache, um Spanisch oder Englisch, um gemeinsame Lektüren, um Slang, um Schimpfworte, Alltagsverstehen: Im mexikanischen Spanisch bedeutet etwa „madre“ sowohl „Mutter“ als auch „super“, „padre“ bedeutet sowohl „Vater“ als auch… „super“. „Poco madre“ dagegen existiert nur in Kombination mit der Mutter, und das bedeutet dann eben „wenig super“… die Macht des Vaters oder der Mutter? Und wie klänge das auf Deutsch: „Wie Mutter“?

Die Ministerin Cornelia Pieper nannte Deutsch gleich bei der Eröffnung eine „Sprache der Ideen“, eine der zwei Messeleiterinnen der FIL, Consuelo Sáizar, sprach von einer „Brüderschaft des Wortes“, der wir alle angehören und für die die Messe 1987 gegründet worden war – gegen eine Zentralisierung des spanischsprachigen Buchmarkts in Spanien, denn Mexiko sei das Land mit der größten spanischsprachigen Bevölkerung.

Auf vielen Podien mit deutschsprachiger Literatur etwa mit Wladimir Kaminer, Dragica Rajcić, Adam Soboczynski und Saša Stanišić wurde allerdings nicht nur einer Sprache, sondern der Vielsprachigkeit der mehrkulturellen Autoren gehuldigt, die, so erkannte die Moderatorin Sara Lovera López, ein „modernes, eigenes Deutsch“ erfinden. Für den aus Bosnien stammenden Autoren Saša Stanišić ist Sprache wie „Spaghetti“ und „die Autoren machen die Soße“, Herkunft sei für ihn keine literarische Kategorie, genausowenig wie braune Haare, wichtig sei, dass man zwischen seiner doppelten Persönlichkeit eine Brücke schlagen könne, sie nicht als getrennte wahrnehme. Rajcić ließ wissen, dass alle ihre Metaphern im Deutschen aus dem Slawischen kämen, dass sie die „unabgeschlossene Vergangenheit“ des Slawischen nutze, denn im Deutschen gäbe es, auch im Politischen, nur eine „abgeschlossene Vergangenheit“.

Zum Abschluss erlaube ich mir, eine weitere Zahl zu nennen: Deutsch sei, informierte der Leiter der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos, eine „gateway“-Sprache, denn 40-50 Prozent der Neuerscheinungen seien Übersetzungen, Deutsch sei der größte „Sprachenmarkt“ in Europa. Wenn ein Buch in deutscher Übersetzung erfolgreich sei, würden die Rechte oft auch für andere Sprachen verkauft. Und das ist doch eigentlich eine gute Meldung für die kleinen Sprachen, deren Verschwinden Dragica Rajcić fürchtet, denn mit ihnen verschwänden eigene Weltsichten. Hoffen wir also, dass der spanischsprachige Buchmarkt sich mehr und mehr der gar nicht so großen Sprache Deutsch annimmt!

Tschüss und Danke an unsere Messeblog-Unterstützerinnen und -er Natalia Guzmán, Barbara Buxbaum, Adriana Redondo von In-Kult, an Dieter Schmidt von der Frankfurter Buchmesse, an die super Guadalajara-Begleiter Paty, Vero, Erik, Sasa, Abbas, Holger, Peter Stamm, die Facebook-Agenten Amaranta und Dennis, sowie an die „Tocinos“ von Sexto Piso!

]]>
Postfeminismus in der Küche http://superdemokraticos.com/laender/guatemala/postfeminismus-in-der-kuche/ Fri, 02 Dec 2011 19:50:08 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6116 [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=0IWpumKibiI[/youtube]

Die deutsche Filmemacherin und Autorin Doris Dörrie braucht sich nicht in der Küche zu verstecken. Sie hat 23 Bücher veröffentlicht, davon sieben in spanischer Übersetzung, sie als Regisseurin und ihre Filme wie „Männer“, „Hanabi“ oder „Bin ich schön?“ gehen um die Welt. Ihr Werk ist daher nicht nur beeinflusst von Erfahrungen, die sie als selbstständige Frau in männlichen Branchen erlebt, sondern auch von ihren zwei Lieblingsländern, Mexiko und Japan. So inszenierte sie zuletzt „Don Giovanni“ an der Hamburger Staatsoper, darin wird der ewige Don Juan und Frauen-Vernascher von einem weiblichen Tod in einem finalen Totentanz gerichtet, welche die Heilige „Catrina Mexicana“ zitiert, eine elegante Dame im Skelett-Kostüm. Diese Uminterpretation einer Macht- und Lebensbeziehung steht stellvertretend für das, was man Postfeminismus nennt, eine pluralistische Haltung, die über die Prozesse der scheiternden oder erfolgreichen Gleichberechtigung nachdenkt, über Repräsentation von Dominanz, Geschlecht und Familie. Kultur spielt dabei eine große Rolle, auch Alltagskultur, Einsichten wie „Männer machen mehr Lärm in der Küche als Frauen.“ Diese Beobachtung von Doris Dörrie gilt vielleicht eher für Deutschland als für lateinamerikanische Länder, in denen, zumindest in meiner Erfahrung, Männer gerademal wissen, wie der Toaster funktioniert. (Männer: Wenn das nicht stimmt, beschwert euch bitte bei mir.)

Es ist der starke Bezug auf das Körperliche, der Doris Dörries Erzählungen, auch wenn sie manchmal plakativ wirken, allgemeingültig und überkulturell machen: „Die Physis verbindet uns, nicht das Gehirn,“ erklärt sie. Bei einem Workshop mit Studierenden an der UNAM, der Universität in Mexiko-Stadt, ließ sie alle Teilnehmer ihre physische Erinnerung an den Fußboden der Kindheit beschreiben. Und dabei, ich bin mir sicher, wird der Küchenboden für jeden und jede postfeministisch aufgeladen. Ich etwa, habe in den Ritzen, Spaghetti gesucht, die meine Mutter dort versteckt hat, um mich zu beschäftigen.

]]>
Messe-Party-Guide http://superdemokraticos.com/laender/deutschland/messe-party-guide/ Fri, 02 Dec 2011 19:19:34 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=6102

Wir alle wissen, dass Buchmessen gesellschaftliche Veranstaltungen sind. Klar, es geht bei diesen Branchentreffs in mehr oder weniger klimatisierten Hallen rein äußerlich um das Verlagsbusiness und vor allem um Bücher und um die Bücher-Menschen, die so genannten Bibliophilen (denen hier auf der Feria del Libro Guadalajara sogar ein eigener Preis verliehen wird, diesmal ging die „Homenaja al Bibliófilo“ an den 75-jährigen Mexikaner Ángel García Lascuráin, der Flugzeuge liebt und eine riesige Bibliothek angesammelt hat, unter anderem mit Erstausgaben von Ernest Hemingway). Aber auf den Messen, die ich kenne, findet der wahre Austausch nachts statt.

In Frankfurt, auf der größten Messe der Welt, laden Verlage zu teuren Empfängen in das dick mit Teppich ausgelegte und holzgetäfelte Hotel Frankfurter Hof. Die Einladungskarten dazu enthalten noch nicht einmal eine Adresse; wer eingeladen ist, war schonmal da, und Dekadenz in Deutschland gibt sich bescheiden, ist Kaschmirpulli ohne Logo. Auf solche Parties werden sowieso die nur bekannte Autoren, also die mit imageverbessernden Mediengesichtern, eingeladen. Dann gibt es die Inner-Circle-Parties bei den in der Stadt ansässigen Verlagen, etwa in der Suhrkamp-Villa, oder die Innenhof-Stehparty unter Heizpilzen beim S. Fischer Verlag in Sachsenhausen mit wenig Essen, aber viel, viel Alkohol. Hier wandern Visitenkarten hin und her, Interviewtermine werden abgesprochen, Preisträger kritisiert, keine Musik. Schließlich die für alle offene Party der Jungen Verlage wie Blumenbar, kein und aber, kookbooks, mairisch, Onkel&Onkel, Verbrecher Verlag, zu der alle jüngeren Autoren und Verleger gehen, wo man sich wie immer wie in Berlin fühlt, weil fast alle Autoren aus Berlin anwesend sind und sich an der Bier- oder Bionadeflasche festhalten. Visitenkarten tauscht hier niemand aus, höchstens Facebook-Namen, getanzt und geknutscht wird ab 2 Uhr nachts wild zu Hiphop, Disko, Abba, je schlechter die Musik, desto besser.

In Guadalajara scheint auch jeden Abend eine Fiesta stattzufinden. Das ist schonmal gleich. Aber einiges ist auch anders: Die Adressen wandern in Gesprächen und auf Zetteln hin und her, eine Einladung braucht man selten, vielleicht noch für die erste, die FIL-Eröffnungsparty auf einem parkähnlichen Gelände, auf das ein Riesenfestzelt gestellt wurde, flankiert von Bars und Imbissständen (Tacos, Süßigkeiten). Alles kostenlos, der Dresscode teuer-protzig, mit wehenden Stoffen, üppigem Schmuck und Makeup, hohen Absätzen. Eine der bekanntesten Cumbiabands, Sonora Dinamita aus Kolumbien, spielt und tanzt stundenlang vor einem blinkenden, überfüllten Disco-Dancefloor. Die Tische – mit Privatkellner – sind von einzelnen Mäzenen gebucht, kein Wunsch bleibt unerfüllt, alles im Überfluss vorhanden, die Reichen sind unter sich. Und es fällt auf: Die Deutschen trauen sich viel zu selten, ihre Hüften zu schwingen. Ähnlich ist es bei der Party des Verlags Veracruz, bei dem eine Salsaband auftritt, bei der „Party der Journalisten“ oder bei der Superrockdisko beim jungen Verlag Sexto Piso: Die Latinos tanzen, sind auch bereit, ein paar Grundkenntnisse zu zeigen, die Deutschen bleiben ihrem Klischee treu, schauen lieber zu oder wanken hin und her wie Bäume im Wind.

Fazit: Messe-Party heißt in Guadalajara vor allem lange und zu zweit tanzen, das müssen die Deutschen lernen. Vielleicht sollten sie das Bier, das jeden Tag um 16 Uhr im deutschen Pavillon – Achtung: Klischee-Alarm – ausgeschenkt wird, bei den Parties trinken?

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=QWyPDPH7YwY[/youtube]

Das Tages-Programm auf der Messen in Guadalajara hat sich zum Glück dem Nacht-Rhythmus bereits angepasst: Die meisten Veranstaltungen der spanischsprachigen Autoren beginnen ab 17 Uhr. Genug Zeit, um auszuschlafen, zu frühstücken und dann direkt von der Messe zur nächsten Party zu pendeln. Bis heute Abend!

]]>