Hier muss ich mich nicht mehr ständig definieren und erklären. Gerade weil das Schwarzsein so präsent ist, ist mein Schwarzsein nicht mehr entscheidend. Plötzlich kommen keine Rückfragen mehr, wenn ich sage, dass ich aus Deutschland bin (Aber woher kommst du wirklich? Und ursprünglich? Aber deine Eltern?…). Ich kann mich in 30 Lebensjahren an keine einzige Situation erinnern, in der so eine Aussage in Deutschland unhinterfragt stehen blieb. Schwarzsein und Deutschsein schließen sich für zu viele noch immer gegenseitig aus.
Manchmal vermisse ich es. Doch dann erinnere ich mich wieder. An das Fremdsein im eigenen Land. Daran, dass all die Selbstverständlichkeiten, an die ich mich in meiner neuen Heimat schon komplett gewöhnt habe, dort nicht existieren. Dass ich in Deutschland nicht zufällig meinen HeldInnen und inspirierenden Menschen wie Alice Walker, Chuck D und Danny Glover begegne, sondern viel Zeit, Energie und Planung investieren muss, um mir (und anderen) vor Augen zu halten, wie vielschichtig und bewundernswert wir Menschen of Color sind. Und während wir uns in Hamburg und dem Rest Deutschlands dagegen wehren, dass weitere Kolonialisten mit Straßen- und Stadtteilnamen geehrt werden, lebe ich hier zwischen Gebäuden, Autobahnen und Plätzen, die nach Schwarzen Widerstandskämpfern und Politikern benannt sind. Hier kann ich mich den unterschiedlichsten Schwarzen Gruppen und Organisationen anschließen und muss sie nicht selbst gründen. Hier kann auch ich einfach mal mitmachen.
Kann zu Marcus Books, dem ältesten unabhängigen Schwarzen Buchladen der Vereinigten Staaten spazieren und mich durch die gesammelten Werke literarischen Schaffens aus der afrikanischen Diaspora wühlen. Die afrikanische Diaspora hat hier sogar ihr eigenes Museum. Ich freue mich. In mir hat sich so viel entspannt. Natürlich weiß ich, dass auch hier hinter all dem, was ich jetzt genießen kann, schmerzhafte Opfer und Kämpfe stehen. Kämpfe, die noch lange nicht vorbei sind. Insofern ist mein Aufenthalt hier so, als hätte ich mich in eine Zeitmaschine gesetzt, hätte eine Preview des Möglichen. All das – und etwas ganz Eigenes – können wir in Deutschland auch haben. Wenn wir uns weiterhin als People of Color organisieren und nicht mit dem Status quo abfinden.
Ein afroamerikanischer Gast-Professor war am Ende seines Aufenthalts an meiner Uni so über das schockiert, was er im Kollegium hörte und in Hamburg erlebte, dass er alle Schwarzen Studierenden in meinem Fachbereich davon überzeugen wollte, in die USA zu kommen. Ich war der Meinung, dass Abhauen keine Lösung sei, dass man bleiben und etwas verändern müsse. Dass man nicht einfach alle(s) im Stich lassen könne. Sein Statement dazu: „Die Frage ist, wie viel man selbst aushalten kann.“
Für mein junges Aktivistinnen-Herz war das damals schwer hinzunehmen. Das war wie Hochverrat an der Sache, der ich damals mein Leben widmete. Aber mein Professor hatte recht, man muss auf sich selbst aufpassen. Zwischendurch auftanken. Und so versuche ich zumindest aus der Ferne ein paar Dinge aus der Zukunft mit denen zu teilen, die in Deutschland die Stellung halten:
youtube http://www.youtube.com/watch?v=94W1JjvWOSk
*Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung, die adjektivisch in Großschreibung verwendet wird.
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