Pedro Alexander – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Reisefahrplan http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/reisefahrplan/ Wed, 08 Dec 2010 19:07:15 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3371 Vom Bett aus sieht man, wie der Raureif der Morgenstunden das Glas der Fensterscheibe des Zimmers liebkost. Der Schnee möchte herein kommen, um Hallo zu sagen, nur die Wärme der Heizung hält ihn davon ab. Ich habe kaum mehr als vier Stunden geschlafen. Lust aufzustehen, habe ich nicht besonders, aber ohne Visum im Pass wäre alles komplizierter. Die zehn Schritte bis zum Bad, die Zahnbürste und Zahnpasta, ein schnelles Zähneputzen, das Gefühl von Sauberkeit bringen mich dazu, unter die Dusche zu springen und auf diese Weise das Gefühl der Verzückung zu verlängern und die Gerüche von gestern abzustreifen. Eines feindseligen Gestern. Zusammen mit einem guten Lied, um den Tag zu beginnen und das erste Glas Wasser zu trinken. Gedanken verwandeln sich in Aktion. Aus dem Bett steigen, die Schritte, Bugge Wesseltoft mit It’s snowing on my piano, die Dusche, das Handtuch, das Wasser: die Ruhe der kleinen Dinge, die die Seele besänftigen.

Andares.

Die Uhr hingegen kennt keine Ruhe und zeigt an, dass eine halbe Stunde vergangen ist. Du hast 15 Minuten länger für etwas gebraucht, was du in zehn Minuten hättest erledigen sollen. Es ist kein Kaffee da. Beeil dich! Zieh dir die schönste Hose zum schönsten Hemd an, Schal und Mantel. Man muss einen guten Eindruck machen. Vergiss nicht, die Unterlagen mitzunehmen, die du gestern vorbereitet hast und vergewissere dich noch einmal, dass sie vollständig sind. Lauf schnell die Treppen hinunter, aber stolpere nicht, das ist kein Moment für Unfälle. Kalte Luft. Die Schritte versinken im Schnee; hoffentlich vergessen sie nicht, die Kieselsteinchen zu streuen, die uns vor dem ständigen Ausrutschen schützen. Habe ich wohl alle Unterlagen? Die U-Bahnstation ist keine fünf Minuten entfernt. Durch Neukölln zu laufen hat seinen Reiz. Auf seinen Straßen flaniert ein besiegter Surrealismus umher, der mich zur Rebellion einlädt. Neukölln stellt seinen messerscharfen Barockismus zur Schau.

Um acht Uhr morgen hat der türkische Bäcker an der Ecke Selchower Straße schon ein paar Bewohner. Mit eingespieltem Hallo nehme ich lächelnd meinen Kaffee entgegen und gehe schnell in Richtung Herrmannstraße weiter. Hundert Meter weiter, einmal links abgebogen, und ich bin schon auf dem U-Bahnhof. Der Zug kommt in zwei Minuten. Wenn du mit der U-Bahn fährst, siehst du die Stadt anders, du siehst sie in dem Blick ihrer Fahrgäste, im Hin- und Herwanken ihrer Körper, einer gegen den anderen. Du siehst sie in dem Kontrolleur der BVG, in dem Schwarzfahrer, in dem Mädchen auf dem Weg zur Universität, dem elegant gekleideten Typen und dem Haufen Seelen, die sich nicht mehr an den Toren zum Fegefeuer drängeln, sondern an der automatischen Waggontür der U-Bahn. An der Osloer Straße steige ich in die U 9 um, fahre bis zur Amrumer Straße, zwei Stationen und fast bin ich da. Ein Schild kündigt die Nähe meines Ziels an: Ausländerbehörde nach rechts.

Das Gebäude ist nicht einladend, aber es führt kein Weg daran vorbei. Trotz allem bin ich 13 Minuten zu früh da, so dass ich den richtigen Raum in Ruhe suchen kann. Ich orientiere mich an den kleinen Lageplänen, die mir anzeigen, wo ich hin muss. Zweiter Stock nach rechts. Ich setze ich mich in das erste Wartezimmer auf der linken Seite und warte darauf, dass auf der Anzeigentafel meine Nummer aufleuchtet. Zum Glück habe ich einen Termin, zwei Monate habe ich auf ihn warten müssen. Ich ziehe das Buch, was gerade an der Reihe ist, aus meiner Tasche. Heute ist die tausendfach wieder gelesene Gedichtanthologie von Mario Benedetti dran. Ich schlage es irgendwo auf und Benedetti entlockt mir ein Lächeln: Er bittet mich, mich nicht zu retten. Als wäre es so einfach…

Ein Mann, der zwischen 30 und 35 Jahren alt sein muss, kommt auf mich zu. Er fragt mich, ob er hier für B richtig ist, ich bejahe und er setzt sich neben mich. Und wo kommst du her? – fragt er mich. Aus Kuba – sage ich. Oh, Kuba! Che Guevara… er versucht ein Grinsen. Ein schönes Land – fügt er hinzu. Ich glaubte nicht, nervös zu gucken. Doch mein Gesicht scheint das Gegenteil auszudrücken, denn mein neuer Freund führt fort: Mach dir keine Sorgen, Kubanern geben sie sicher ein Visum. Ich komme aus dem Libanon, mich lassen sie länger schwitzen.

Ein Geräusch teilt mir mit, dass eine neue Nummer aufgerufen wird. Meine. Ich verabschiede mich mit einem Lächeln und gehe auf die Tür mit der Nummer 264 zu. Benedetti hämmert mir weiterhin ein, mich nicht zu retten, mich nicht mit einem glücklichen Plätzchen auf der Erde zu begnügen. Ich kontrolliere meine Wut. Klopfe an die Tür und trete ein.

Übersetzung: Anne Becker

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Kein adiós, aber ein bis bald … http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/kein-adios-aber-ein-bis-bald/ Thu, 14 Oct 2010 09:57:20 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2625 “Die Kultur zur Befreiung konstituiert sich nicht nur durch die Organisation bereits existierender kultureller Daten, sondern auch durch die Erschaffung eines Netzwerkes von Ideen und Werten. Es geht darum, ein Konzept der nationalen Kultur zu entwickeln, das nicht limitierend und objektiv konservativ wird. Und so die Versuchung zu vermeiden, Barrieren zu bauen, innerhalb der Tradition nur das System der revolutionären Werte zu erkennen, sowie die gegenteiligen Reaktionen: den Agnozismus.”

Jorge Luis Acanda

Irgendjemand hat einmal gesagt, dass die besten Ideen in der Küche entstehen. Vor einigen Monaten begann ein Projekt, das viele Leute in Atem hielt, ich war einer davon. Zum ersten Mal seit langer Zeit sah ich mich gezwungen, beim Schreiben jedes Mal einen Bezug zu meinem Leben zu machen. Es überraschte mich auch, auf diese Art und Weise, mich Selbst durch die Augen der anderen zu sehen. Ich sah mich und auch meine anderen dichs aus unterschiedlichen Perspektiven. Mein Ich hörte auf, egoistisch zu sein, und begann anhand von Texten, die auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent oder in Großkolumbien, wie Francisco de Miranda diesen Teil der Erde vor dem afrikanischen Kontinent nennen wollte, herumzuwandern. Wieder einmal bauten sich Europa und Lateinamerika voreinander auf, aber dieses Mal, um sich ungetrübt über die Beziehungen zueinander, über die Spuren und die Versprechen, zu unterhalten. Das war und ist nicht rein zufällig geschehen. Der Dialog hat keine wirtschaftlichen Beweggründe und wurde von zwei Weltbürgerinnen ausgelöst. Eine wurde in Tarija und die andere in Bremen geboren, zwei Orte, die unterschiedlicher nicht sein könnten und sich doch so nah sind, wenn es um die Annäherung geht. Der Gemeinplatz dafür fand sich in der Literatur; der Ort der Unterstützung in Berlin, mit festem Blick auf die Utopie.

Das Leben an zwei entlegenen Polen der Welt stellte sich hier aus einer individualistischen Perspektive dar. Dadurch wird das betrachtende Individuum ein Teil der machenden Gruppe und das angenommene Ich zum Du. Ein Mosaik konstruiert sich, das die Gesichtszüge der Menschen zeigt, welche diese globalisierte Welt anders betrachten wollen. Dieses Vorhaben ist stillschweigend in das eigentliche Handeln einbezogen, und nur darin fühlt man sich wirklich zu Hause.

Die Ironie des Namens, Superdemokraticos, deutet schon auf diese Kurzsichtigkeit hin. Mich erinnert es an einen Nietzsche, der vorgibt mit einem Hammer zu philosophieren, um damit dem erbaulichen Anspruch der traditionellen Philosophie zu entgehen, der seiner Meinung nach den Mensch verdorben hat.

Aber Nietzsche reicht nicht aus, und die Superdemokratie ist nicht mehr als ein Vorwand, um dahin zu sehen, wo es am meisten weh tut, also bleibt keine andere Möglichkeit, als sie aufs Neue zu gebären, diesmal unter anderen Voraussetzungen. Der Jugend in einer alternden Welt das Wort zu zusprechen, ist ein Wagnis, das in einer an Taubheit erkrankten Welt eine notwendige Voraussetzung sein kann.

Und deshalb sage ich auch nicht Adiós, sondern „Bis bald“, bedanke mich dafür, dass ich mitmachen konnte, und hoffe darauf, auch weiterhin Voraussetzungen schaffen zu können.

Calle 13 Pal norte

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Es war einmal eine Globalisierung http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/es-war-einmal-eine-globalisierung/ Tue, 28 Sep 2010 06:48:30 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2220 -Wenn ihr es erlaubt, erzähl ich euch eine Geschichte, so wie sie mir erzählt wurde. Es war einmal ein junger Mann, der lebte in einer sehr großen Stadt. Es war im Jahr 2010. Er wurde auf der Insel geboren, die im dem Gedicht „La Isla en Peso“ von Virgilio Piñeira beschrieben wird, das ich euch sehr empfehle. Dieser junge Mann war wie unser Morus, dem es gefiel zu reisen, er wollte wissen, ob die Welt Grenzen habe und welche es wären. Als er das Alter dazu erreicht hatte, ging er in ein anderes Land. (Einige von euch werden sich nun fragen, was ein Land war, andere haben dies bereits im Unterricht von Poulantzas gelernt. Gut, ich werde euch nicht die Gelegenheit nehmen, Nachforschungen zu diesem Thema anzustellen.) In jener Zeit hatten die Menschen Artefakte erfunden, die es einfacher erschienen ließen, sich von einem Ort an einem anderen zu bewegen. Das war, in den meisten Fällen, für die überwiegende Mehrheit der Männer und Frauen, die den Planeten bewohnten, extrem schwierig, denn um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen, benötigte man eine Erlaubnis von den zuständigen Behörden. Diese Autorisierung wurde in Form eines Zettels erteilt, der für die Person, die verreisen wollte, in einer anderen Sache, die man Pass nannte, abgestempelt wurde. Bei Letzterem handelte es sich um ein Heft, das dazu diente, sich auszuweisen. Dieser junge Mann arbeitete hart, um die Erlaubnis zum Reisen zu erlangen, denn er hatte den Fehler begangen, im falschen Land auf die Welt zu kommen. Dazu kam, dass die Menschen in jener Zeit unter dem Joch des Geldes lebten, Geld, dieser unbeschreibliche Geselle, der zwischen den meisten menschlichen Beziehungen vermittelt.

Kommen wir zu unserem jungen Mann zurück. Nachts arbeitete er in einer Bar, tagsüber ging er in die Universität, er schrieb Essays und literarische Texte für die ein oder andere Zeitschrift oder für Projekte. Sein Leben verlief zwischen diesen alltäglichen Aufgaben.

Dieser junge Mann, lasst ihn uns Aukera nennen, verbrachte viel Zeit damit, mit all seinen Freunden zu reden, die über den gesamten Erdball verstreut waren. Seine Kumpels sprachen unterschiedliche Sprachen und kamen an verschiedenen Orten zur Welt. Fast alle von ihnen hatten ebenfalls nicht den richtigen Pass, um sich in jener Welt fortbewegen zu dürfen.

Einige Freunde von Aukera spielten Theater, andere machten Musik, andere schrieben Poesie und machten Filme, andere arbeiteten mit Behinderten, kochten oder renovierten alten Häuser. Wieder andere hatten keine Arbeit und verbrachten viel Zeit damit, im Kreis zu laufen. Einer von ihnen lebte in einem sehr, sehr kleinen Dorf in einem Land im Süden. Er hieß Ezintasuna und spielte Theater für Kinder. Ezintasuna war sehr erschöpft und wollte in ein Land des Nordens gehen, aber die Erlaubnis zum Reisen war sehr schwer zu bekommen.

Foto: Lazaro Emilio Hernandez Boffill

Er glaubte nicht daran, dass seine Arbeit funktionierte, denn die Botschaft der Freude und die Möglichkeiten, die das Marionettenspiel bat, kamen bei den Kindern nicht an. Diese unterlagen einem sehr starken Einfluss von Gewalt. Die Mehrheit dieser Kinder lebte auf der Straße und konsumierte Drogen statt Nahrung, um ihren Hunger zu stillen. Andere waren verkauft und zur Prostitution gezwungen worden. Um sich zu verteidigen, hatten sie sich zu Gangs zusammengeschlossen. Eines Tages, nach einem Auftritt, näherte sich eines dieser Kinder schüchtern und sagte zu Ezimtasuna:

– Entschuldigung, darf ich Sie etwas fragen?

– Ja natürlich!-antwortete Ezintasuna.

-Sagen Sie, wie schaff ich es, in die Welt der Marionetten zu kommen, in der alles gut ausgeht?

Ezintasuna war sprachlos. Mit zugeschnürtem Hals sagte er zu ihm:

Zuerst musst du sie erschaffen, und dann, ganz langsam, wirst du in ihre Welt eintreten können, genau wie sie in deine.

Der Junge begann die Gruppe der Marionettenspieler zu begleiten und mit der Zeit erschuf er seine erste Marionette.

So hat es mir Ezintasuna erzählt und so erzähl ich es euch.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Zur Kritik der Gewalt http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/zur-kritik-der-gewalt/ Tue, 14 Sep 2010 07:19:44 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1812 Der Durchbruch der Sonne ist im Berliner Alltag immer ein großes Ereignis. Ihre Strahlen kündigen der kalten Stadt die Ankunft von Wonne, Genuss und Freude an. An sonnigen Tagen geht man in einem anderen Takt spazieren und die allgemeine gute Stimmung lässt Toleranz zu etwas Glaubwürdigem werden. Die Stadt scheint in einem unvergleichlichen Ausmaß zu jubeln. Die Liebe würde dann in jedem Augenblick aus dem geringsten Glaubensbeweis entstehen, sich überallhin verstreuen.

Sabine ging an diesem Tag raus, um durch die Stadt zu spazieren. Der Glanz ihres goldenen Haars in der Sonne würde alle Geliebten von Sjöfn, der nordischen Gottheit der Liebe, in ihren Bann ziehen. Aber es war Dienstag und Tyr, der Gott des Krieges, blickte durch ihre Augen.

Daniel versprüht Jugend. Er ist ein Jahr jünger als Sabine und seine Haut schimmert in der Sonne wie schwarzer Marmor. Er fühlt sich hier zuhause, auch wenn für ihn Sjöfn Vishnu und Tyr Shiva heißen würde.

Beide wurden in Berlin geboren, aber die Stadt gehört weder dem einen noch der anderen auf die selbe Art und Weise. An diesem Tag nehmen sie nicht ihre Fahrräder, sondern nutzen lieber die öffentlichen Transportmittel. Die U-Bahnhaltestelle Schlesisches Tor ist wie jede andere auch, etwas dreckig, mit eisigem Licht und sonderbarem Geruch. Eine Sicherheitskamera zeigt uns diese Jugendlichen voller Leben. Er steht einen halben Meter von den Gleisen entfernt, als sie den Bahnsteig betritt und sich ihm nähert. Sie stellt sich neben ihn, sagt etwas zu ihm. Sie gestikuliert und scheint zu schreien. Es ist früh am Morgen, möglicherweise hat er sich erschrocken, ich hätte das getan.

Er versucht ihr den Rücken zu kehren, sich taub der Situation zu entziehen. Sie sucht Streit. Sie stürzt sich auf ihn und schubst ihn auf die Gleise. Der Zug kommt in zwei Minuten. Einige Menschen, die in der Nähe stehen und den Vorfall mitbekommen haben, durchbrechen die morgendliche Benommenheit und versuchen, ihn von den Gleisen zu bekommen. Daniel wird später erzählen, dass sein Training als Verteidiger bei der ansässigen Fußballmannschaft ihm dabei geholfen hat, schnell zu reagieren. Auf fast allen Gesichtern steht Schweiß. Alles geht sehr schnell. Die Frische ist verflogen, die Atmosphäre von Entsetzen erfüllt. Es ist unwichtig, ob er sich selbst von den Gleisen gehievt hat oder ob andere ihn hochgezogen haben: Er lebt. Tiefer als die körperliche Verletzung sitzt der Schock. Alle sind ergriffen. Durch den Zoom der Sicherheitskamera kann man das Gesicht von Sabine sehen, es zeigt keine einzige Regung. Tyr fühlt für sie. Sie rennt auf die andere Seit des Bahnsteigs und springt in die Bahn, die in die andere Richtung fährt. Sie entfernt sich…Keiner der Anwesenden hat bis jetzt reagiert. Dann ruft jemand die Polizei, sie werden sie festnehmen und verhören. Sei zeigt keine Reue, nur Hass… Warum?

Es ist sieben Uhr morgens und Thilo Sarrazin schreibt an seinem Buch: Deutschland schafft sich ab. Sein Bruder, Nicolas Chauvin, unsterblich geworden durch “La Cocarde tricolore” diktiert ihm den Text. Das, was er schreibt, trägt nicht das Feuer des Lebens in sich, sondern die Asche der Niederlage. Ein moderner Heine würde Folgendes zu ihnen sagen:

Die Berliner Weber

Sie gehen durch die Stadt mit der Stirn in Falten.
Sie setzen sich vor ein Bier und fletschen die Zähne;
Deutschland, wir werden dein Leichentuch nicht weben.
Und damit weben wir unseren eigenen Fluch.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei unsere Religion, die Religion der Intoleranz.
In Vereinsamung und Lynchmorden,
An dich glauben wir und dich zwingen wir auf.
Wir betrügen uns, wir vernichten uns.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei die Regierung, die Regierung der Reichen,
Die unsere Not nicht lindern konnte,
Die uns auch der letzten Hoffnung beraubt
Und uns wie Hunde sterben lässt.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Gesegnet sei das falsche Vaterland,
Wo die Demütigung und die Schande Hand in Hand laufen,
Wo jede Blume schon beim Knospen knickt,
Wo die fauligen Würmer über dem Festessen schwelgen.
Wir weben nicht, wir weben nicht!

Im durstigen Auge keine Tränen.
Deutschland, deine Weber weben nicht,
Weder bei Nacht, noch bei Tag.
Neues Deutschland, deine Weber weben nicht mehr!


Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Meine Oma und meine Freunde … http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/meine-oma-und-meine-freunde/ Tue, 31 Aug 2010 07:00:28 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1298 Freunde sind ein Juwel, so lautet ein Ausspruch meiner Oma. Sie sind so wertvoll, dass man von ihnen nur einige wenige hat. Warum? Das hat mir meine Oma nicht erzählt, sie hat mich nur immer dazu aufgefordert, es auszuprobieren. Mit Freunden und Freundinnen habe ich gelacht, geweint und unendlich viel Dinge gelernt. Die kritischen Momente, die wir gemeinsam erschaffen haben, sind wie ein Angriff auf die Vernunft. Wir befreien sie von ihrem absolutistischen Anspruch, entblößen sie und sehen, was sie so sehr zu verstecken versucht, nämlich ihre Vergangenheit, Gegenwart und die verdunkelte Zukunft. In diesen Soirées ist es immer notwendig, schon im Vorfeld zu sagen, wie viel getrunken wird, zehn Flaschen Wein, zwanzig oder soviel, bis es nicht mehr geht. Damit tun wir so, als ob wir alles unter Kontrolle hätten.

Diese gar wunderbaren Momente des intellektuellen und emotionellen Austauschs werden gewöhnlicherweise von Festessen und Feierlichkeiten begleitet, die entweder mit Ideen für große Projekte enden können, in meisterhaften Lehrstunden oder einfach in maßlosen Besäufnissen. Bei einer dieser gesellige Gesprächsrunden voller Musik erzählte Safo von der unruhigen Hand des Olympe de Gouges. Die Redakteure der monumentalen Déclaration des droits de l’Homme et du Citoyen (Erklärung der Menschen und Bürgerrechte) hatten ihre Mütter, Schwestern, Frauen und Kampfgefährtinnen vergessen, weshalb es sich Olympe zur Aufgabe machte, eine Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne (Erklärung der Frauen und Bürgerinnenrechte) herauszugeben. Anlässlich dessen haben ihm möglicherweise einige illustre Bürger jener Zeit, von denen es nur wenige gab, den Kopf abhacken lassen.

Das Rekapitulieren von Safo entfachte die Nacht. Freud hatte sich schon ein paar Drinks genehmigt und wollte einen Einwand bringen, aber Madame Beauvoir, die sich an seiner Seite befand, ließ ihn nicht zu Wort kommen. Herder stotterte, mit konziliantem Geist: Zeitgeist, mehr ist es nicht! Bukowski fügte ungehalten hinzu: Wozu all diese Diskussion, wenn schlussendlich die Bürger und Bürgerinnen sowieso nichts ändern können. Marx betrat mit einer Flasche Wein in der Hand den Raum und rief: Klassenkampf! Was wir zu tun haben is… Tina Modotti gab ihm unvermittelt einen Kuss, während Hannah Arendt die beiden verächtlich beobachtete und mit eisiger Stimme sagte: „Karlchen, pass mit diesen Behauptungen auf, die zum Totalitarismus führen.“ Aber er schien entschlossen nicht darauf hören zu wollen, zu viel Leidenschaft.

Die Situation schien außer Kontrolle zu geraten. Mitten in all jenem sang zu uns die felsenfeste Stimme von Chavela Vargas: El Último Trago (Der letzte Drink). Mir wurde bewusst, wie wenig mich die Nationalität interessierte und wie sehr ich das Mensch-Sein schätzte. Martí, der immer an meiner Seite war und intuitiv meine Sorgen spürte, erzählte mir: Das Wichtigste sind wir: Männer und Frauen. Dieses Wir steht aber für diese unsere Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, deshalb darf der politische Ausdruck dieses Beziehungen-Eingehens, das Bürger-Sein, nicht aus den Augen verloren werden. Octavio Paz, der gerade damit aufgehört hatte Chavela Beifall zu klatschen, sagte zu Martí: „Vergiss nicht, dass wir die Söhne der Gefickten sind.“ Er – und er deutete auf mich – ist Bürger keines Landes. Nicht von Kuba, weil er trotz seiner angeblichen Rechte nichts machen kann. Nicht von Berlin, weil er dort keine Rechte besitzt, und selbst wenn er sie hätte, könnte er eher wenig tun.

Bakunin, der zu meiner Rechten auf dem Boden saß und sich mit Tagore unterhielt, hatte das wohl gehört und fügte hinzu: Der Status des Bürgers ist Lug und Trug, denn ein Staat, der von dieser Annahme ausgeht, unterscheidet zwischen Bürgern und Nicht-Bürgern und vergisst darüber die Wurzel von allem: den Menschen. Lezama Lima legte Gardel auf, der Volver (Zurückkommen) sang. Foucault und Gramsci, die links neben mir ohne Musik in einer Ecke getanzt hatten, dankten ihm und machten weiter. Unglaublicherweise sagte Kant die ganze Nacht gar nichts, er sah traurig aus; jemand erzählte, dass Juana Bacallao von ihm schwanger wäre; aber möglicherweise war das nur ein Gerücht.

Was für eine Nacht! Lewis W. Hine hat ein Foto davon gemacht. In diesem Moment befand sich meine Oma an irgendeinem Ort im Wohnzimmer; sie, Ikonoklastin, Veteranin des Kampfes, die mit ihrem Lächeln Herzen zum Leuchten brachte, mit einem Mojito in der Hand. Sie ist der Leuchtturm, an dem ich mich orientiere. Wir sahen uns an, lächelten. Mit diesem Lächeln gehe ich von einer Versammlung zur nächsten, wie meine Oma immer sagt: Das Beste ist noch zu erwarten oder selbst zu machen, würde ihr Ana Laura mit einem Augenzwinkern sagen …

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Ode an den Körper http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/ode-an-den-korper/ Mon, 16 Aug 2010 07:47:35 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=775 Da war dieser Moment, um die Libido zu befreien. Um aus sich selbst herauszutreten. Sich für eine Weile gedrückt fühlen, angenommen, gebraucht. In der Hoffnung, ein Tüpfelchen vom Leben erhaschen zu können, weil es sich in der erstickenden Alltäglichkeit aufzulösen drohte.

Dafür betreten die beiden die Bar. Dort ist Poesie anscheinend nicht notwendig. Stattdessen gibt es Alkohol. Einen Cuba Libre, einen Wodka mit Zitronenlimo, noch einen Schnaps hinterher, und nach und nach verdunkelt sich die Wahrnehmung. Die Musik tut ihren Teil. Ein sich konstant wiederholender, dröhnender Rhythmus sorgt für die nötige Monotonie, die das Denken erschwert. Nachdenken ist genau das, was man nicht will. Die Gedanken haben bereits bewiesen, dass sie die Einsamkeit nicht auflösen können, deshalb ist nichts sinnvoller, als sie auszuschalten.

Unglücklicherweise schafft man das nicht vollständig und fährt deshalb auf Autopilot weiter. Fühlen, die Körperhüllen fallen lassen, so zeigt sich die vergegenständlichte, objektivierende Sexualität. Sie schätzen sich ab, sie nähern sich an und gehen wieder auf Distanz. Sie trinken noch einen Drink, egal was. Der Moment nimmt eine eigene Persönlichkeit an. Die Spieler spielen ihre Rollen. Das Spiel hat begonnen, und alles wird ein Teil davon.

Die Andeutung eines Wunsches, verzaubernde Bewegungen, die anziehend wirken, verschüttete Drinks, die einiges andeuten, streichelnde und zudrückende Hände, schauende, beißende Augen: ein unendliches Sich-Amüsieren. Die beiden dort spielen die Hauptrolle in einer Jagdszene, in der beide Jäger und Beute sein werden. Sie pressen sich aneinander, sie fließen ineinander, und sobald ein Lächeln auftaucht, erholen sich die Glieder. Der Körper entspannt sich, gibt sich hin. – Zu dir oder zu mir?

Mit Klarheit und Kopfschmerzen kündigt sich der neue Tag an. Beide sehen zum ersten Mal das gesamte Gesicht des Anderen und gehen mit ihren Körpern auf einen Kaffee. Ein neuer Arbeitstag beginnt, und man versinkt erneut in dem gewöhnlichen Tun. Das Über-Ich beginnt mit seiner Arbeit. Die Schuld, die Ängste, das Gute und das Böse tauchen wieder auf: Die Party ist vorbei. Sie betrachten sich argwöhnisch. Die gleichen Fragen der vergangenen Nacht werden gestellt, nun aber ohne die Beihilfe von Alkohol, Dunkelheit und Musik …

Maquina de Amar

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Die Kunst des Nicht-Treffens http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-kunst-des-nicht-treffens/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/die-kunst-des-nicht-treffens/#comments Mon, 02 Aug 2010 07:57:31 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=548 “Entonces, a través de la fina malla de tus pestañas,

verás todavía  alargarse en mis pupilas ávidas un

desperezamiento de panteras…”

Rubén Martínez Villena

Eine der größten Herausforderungen in meinem Leben ist, mit der Angst leben zu lernen. Ich hatte viele Ängste, einige sind verflogen, andere verkleiden sich und schleichen versteckt herum. Aber es gibt eine sich hartnäckig haltende Angst, welche immer wach ist und mich aus dem Traum der Vernunft reißt. Die Angst, nicht zu sehen, geht über die Privatsphäre, die ich für mich beanspruchen, hinaus, das heißt auch, Angst davor, dass die anderen mich nicht sehen, dass wir uns nicht sehen können.

Wenn wir es nicht schaffen, uns wahrzunehmen, scheint es, als ob wir austauschbar wären. Dann würden wir uns in der Allgemeinheit der Begrifflichkeiten verlieren, wie beispielsweise „Frau“ oder „Mann“. Du wärst nur eine Frau, und ich wäre nur ein Mann; wir wären irgendeine Frau, irgendein Mann, wir hätten keinerlei Gesicht, und jeder würde seine Geschlechterzugehörigkeit weiterhin wie ein Schutzschild vor sich hertragen. Die Einteilung in Geschlechterzugehörigkeiten erweist sich als unzureichend, um die subtilen Ausprägungen unseres Seins einzufangen. Dein Geschlecht und mein Geschlecht sind zufällig, und ich will mehr in dir sehen und du sollst mehr in mir sehen, als diese Trivialität, die wir so schnell naturalisieren. Und dass, obwohl ich spüre, dass das Wollen alleine nicht ausreicht.

Am Anfang war es das Gegenteil. Genau deshalb hat mich auf meinen intimen Wegen durch die Berliner Straßen, Bars und Betten die meiste Zeit ein seltsames Gefühl befallen. Die Treffen waren wie Nicht-Treffen. Auf diesen Wegen wurde ich von vielen Frauen und von vielen Männern als lateinamerikanischer Mann wahrgenommen. Diese Spezies Tier wird als wilde Bestie wahrgenommen. Es war gar nicht so schlimm, dieser Gattung zugeteilt zu werden, vor allem weil es „in“ war, und es schien nicht mehr als eine vorübergehende Verrücktheit zu sein. Mancher Wahnsinn dauert länger an. Was ich auch tat, alles bestätigte lediglich mein Naturell des wilden Tiers. Die Brille, die ich normalerweise trage, um die Welt sehen zu können, wurde nicht als Lösung eines visuellen Problems verstanden, sondern als der Versuch gewertet, intellektuell wirken zu wollen. Ich gebe keinem die Schuld, auch mein Großvater war der Meinung, dass die Intellektuellen es im Leben einfacher haben würden. Deshalb bestand er darauf, dass seine Kinder eine universitäre Laufbahn einschlagen sollten. Um den familiären Ratschlägen zu folgen, begann ich Philosophie zu studieren, und natürlich ist mir bisher noch nicht aufgefallen, dass mein Leben deshalb einfacher wäre.

Die Situation fing an erdrückend für mich zu werden. Eines Tages forderte ich ein Mädchen, das gut tanzen konnte, zum Tanzen auf, und ihre Antwort kam prompt und deutlich: „Ich bin schon verheiratet!“ In mir begann das Blut der Jakobiner und der Cimarrónes, das in meinen Adern fließt, zu brodeln. Ich hatte das Werk von Camus gelesen, und seitdem war ich Le latino révolté. Aus dem Schrei heraus entwarf ich eine Strategie, mit der ich Gemeinplätze bekämpfen könne. Meine Taktik war möglicherweise nicht so gut wie die praktische Umsetzung in Afghanistan und im Irak, aber dennoch dachte ich sie funktioniert, denn schlussendlich wollte ich ja nichts erobern – ich wollte lediglich gesehen werden, über das stereotype Bild hinaus.

Die Idee war simpel: Ich musste jene Tänze vermeiden, bei denen sich die Becken berühren könnten. Von da ging das Gerücht herum, dass ich nicht tanzen könne.Ich glaube, er ist gar kein Latino“ – fügten sie hinzu – “er wurde bestimmt hier geboren. Ihm fehlt das Temperament!“ Dieses Gerede hat mich irgendwie getroffen, also habe ich beschlossen gar nicht mehr zu tanzen. Die Interpretation davon ließ nicht lange auf sich warten: „Der tanzt nicht, weil er schwul ist!“

Damit wurde ich auf dem sexuellen Markt sehr hoch gehandelt. Ich fand heraus, dass es für viele Frauen eine willkommene Herausforderung ist, einen Schwulen ins Bett zu bekommen. Als ich meine Frustration in Bier ertränkte, erzählte mir eine Freundin, dass es ihr genauso ginge. Unter Blinden sind die Nicht-Zusammentreffen häufiger als die Zusammentreffen. In dieser Nacht haben wir sie alle, Frauen und Männer, zum Teufel geschickt. Wenn sie uns nicht sehen, können sie uns mal! Sie verpassen was. Es gibt Ängste, die nicht gesund sind, die Angst vor dem Anderen ist eine davon. Die Furcht vor der Blindheit dagegen hilft mir, die Fähigkeit nicht zu verlieren, immer wieder zu staunen, mich zu sehen, dich zu sehen, auf der Suche danach, was ich kann, was du kannst und was ich will, was du willst: Sein. So geh ich, mit Goya an meiner Seite, durch dieses, unser Leben und versuche, die Monster, die aus der Vernunft entstehen, zu ignorieren. Es ist mir nicht immer vergönnt, aber ich versuche es.

Joaquín Sabina, Pie de Guerra.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Verloren in der Universität http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verloren-in-der-universitat/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/verloren-in-der-universitat/#comments Sun, 18 Jul 2010 08:00:54 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=466

Kuba, 17. bis 29. November 2007.

Mein Start im Klassenzimmer war sehr konfliktbeladen. Bereits in der Grundschule begann ich, den Älteren zu misstrauen, die uns Anweisungen zu geben versuchten. Sie nannten uns „Kinder“, was so viel bedeutet, als hätten sie das Recht alles mit uns machen zu können. Sie verpassten uns nicht nur eine psychologische Tracht Prügel, die tiefe Spuren hinterließ, sondern brachten uns auch bei, uns diese Prügel selbst zu verabreichen. In meiner Grundschule gab es einen Helden. Eines Tages fing er an zu zweifeln, ob das Erlernen von Mathe oder Geschichte wirklich notwendig sei, und er schrie das laut heraus. Einen ganzen Nachmittag durfte er deswegen nicht mit seinen MitschülerInnen spielen. Da er sich nicht beugte, wurde er fast einen ganzen Monat isoliert. Heute ist er ein BWLer, der zwar lacht, aber nicht mehr zweifelt.

Ich ging den mir vorbestimmten Weg und durchlief alle Schulklassen bis zur Universität. Mein blindes Vertrauen in die Universität erwuchs aus dem Glauben, dass ich dort schlussendlich lernen würde, mich zu irren. Aber Universitäten sind noch mehr dazu da Gewissheit zu schaffen; die Humboldt Universität in Berlin, wo ich derzeit studiere, ist da überhaupt keine Ausnahme. In den Kursen lerne ich, dass antike Geschichte nur die Geschichte der Römer und Griechen meint; dass Philosophie heißt, etwas mit Logik zu erklären – alles übrige ist Ideologie.

Mir wird beigebracht, wie wichtig es ist, jeder Art von Formalität wortgetreu zu folgen, und dass die Wissenschaft unpersönlich ist, dass es in der Wissenschaft keinen Raum dafür gibt, was manche Gefühle nennen. Zusammengefasst habe ich den immensen Genuss kennengelernt und erlernt, mich in nichtigen Diskussionen zu verlieren. Eines Tages, als ich mal wieder dieses Königreich der Freiheit genoss, musste ich es sagen: Dass alles sinnfrei ist.

Mit den vorherrschenden Theorien als Referenz, versuchte ich meine Antworten zu begründen – so, wie mir das beigebracht worden war. Ich zitierte ein paar alte Deutsche, ein paar französische Kritiker von alten Deutschen und Lateinamerikaner, die mit all dem nicht übereinstimmen. Aber meine Kritik wurde nicht angenommen, und ich wurde als jemand bezeichnet, der eine ideologische Runde mit Denkern drehen wollte, die schon überholt waren.

Oups! Mir wurde exakt das geantwortet, was man in Havanna seit vielen Jahren sagt: „Wenn du nicht der gleichen Meinung bist, was machst du dann hier?“ Seitdem haben die Vorwürfe meiner Mutter, die darauf beharrt, dass Philosophie und Geschichte Zeitverschwendungen sind, für mich einen ganz neuen Stellenwert angenommen.

Aixa

15 – Rockasón – Alejandro Gutiérrez – H.Abierta – Habana Abierta

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Jede Generation muss ihre eigene Geschichte schreiben! http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/jede-generation-muss-ihre-eigene-geschichte-schreiben/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/jede-generation-muss-ihre-eigene-geschichte-schreiben/#comments Wed, 07 Jul 2010 06:18:03 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=420 Mit einer Kindheit, vergossen in den 80ern, begann eine Generation im Leben herumzustreifen, die sich von dem offiziellen politischen Diskurs trennte. Unsere Jugend verbrachten wir zwischen Losungen aus „Panamericano y Pa`lante“ und Elian. In der Schule berichteten sie uns von den Gräueltaten des Imperialismus und von der Manipulation der Medien durch diese Herren. Sie erzählten uns, wie gut es uns ginge und wie schlecht die Welt wäre. Durch die Verse von Martí, Neruda und Vallejo sahen wir die Realität einer Welt, die wir – so trichterten diese uns ein – verändern könnten.

Uns wurde beigebracht, das Offensichtliche anzuzweifeln, misstrauisch zu sein: Der Feind kann an jeder Ecke lauern. Caupolicán und die haitianische Revolution waren die Fakten, die uns das wunderbar Wirkliche aufzeigten, die zauberhafte Überraschung, im Alltag die wahren Heldentaten der Unterdrückten zu entdecken. Die Revolution wurde uns als historische Fortsetzung des Freiheitskampfs der kubanischen Bevölkerung präsentiert. Aus einer schwarz-weiß-malenden und vereinfachenden Position heraus wurde die Essenz der Revolution auf den Kampf gegen den nordamerikanischen Imperialismus reduziert. In jenen Momenten schien die Geschichte ein Synonym für Gedächtnis zu sein. Wir haben gelernt, uns daran zu erinnern, was die Position der Regierung legitimiert.

Nur als wir versuchten, das, was sie uns erzählten, in die Praxis umzusetzen, als wir es mit eigenen Augen sehen wollten, als wir unmittelbare Akteure in unserem Leben sein wollten, da haben wir entdeckt, dass wir zu den Unterdrückten gehörten.
In der Pyramide der kubanischen Politik war die Opposition verboten, es gab nur eine einzige wahre Meinung und diese wurde von einer Person vorgegeben: dem Máximo Líder, der Personifizierung der Revolution.
Wieso? Man muss stark gegen den gemeinsamen Feind, den Yankee-Imperialismus sein. Es ist nur so, dass der Kubaner meiner Generation zu bemerken begann, dass der Gegner nicht nur derjenige aus den Losungen der Regierung war, sondern auch der Staat selbst, der uns ohne Stimme und ohne Raum ließ. Uns wurde bewusst, dass die Medien nicht nur von den Herren aus dem Norden manipuliert werden, sondern auch von den compañeros aus der Nachbarschaft. Die Wahrheit, die uns eingetrichtert wurde, war so von ihnen geprägt, dass dafür in einer Generation von Kubanern, wie wir sie waren, kein Platz mehr war. Unsere Generation wuchs in einem demagogischen politischen Diskurs auf, der seinen Bürgern weder etwas zu Essen gab, noch ihnen Optionen für ein würdevolles Leben eröffnete. Ein Diskurs, der von der Rhetorik lebt und die Bürger zu Hilfsarbeitern einer schizophrenen Politik macht, in dem alles von oben herabdiktiert wird.

Diese neue Dimension der Realität zu sehen, ließ viele erblinden. Der Feind hörte auf, offensichtlich zu sein, er verlor seine Personifizierung; er war nun nicht mehr 144 Kilometer entfernt, sondern zwischen uns. Die Person, die ihn verkörperte war nun derjenige, der früher behauptete, eine Revolution des Volks und für das Volk gemacht zu haben. Das Paradoxe daran ist, dass sich die Veränderungen verstärkend auf die Konzentration der Macht auf eine Person auswirkte, eine Macht, die eigentlich von allen ausgeübt werden sollte. Dieser Mann, der glaubte alles zu sein, wird nicht von der Geschichte freigesprochen werden, wie er es zu seiner Verteidigung behauptet hatte, denn er hat sich in dem Wirrwarr seiner Machtausübung verloren. Aber er ist nur die Verkörperung – das System, das dahinter steht, ist viel komplexer. Der Beweis dafür ist es, dass das System immer noch weiter humpelt, obwohl er nicht mehr „da“ ist.

Wenn man über all dies nachdenkt, stellt man fest, dass die Geschichte nun nicht mehr nur aus Gedächnistraining besteht. Es geht nun nicht mehr darum, sich an die Entdeckung Amerikas zu erinnern, sondern vielmehr, sich darüber bewusst zu sein, dass die Konstruktion dieser historischen Ereignisse die Machtbeziehungen widerspiegelt. Wenn die Spanier von den Azteken und Inkas besiegt worden wären, wäre es nicht zur Entdeckung Amerikas gekommen. Das Geschichtsverständnis, das auf reinen Tatsachen beruht und es verpasst, die dynamische Dimension zu begreifen, die sich durch die Wechselwirkungen zwischen dem Subjekt der Geschichte und der Geschichte selbst zeigt, vermochte es nicht, mir meine Realität begreiflich zu machen. Genau deswegen will ich nicht, dass irgendwer mir die Geschichte erzählt. Denn letztendlich können wir sie selber machen.

Die Konstruktion der Geschichte ist nicht von der soziopolitischen Konstitution gesellschaftlicher Gruppen zu trennen, welche wiederum die Geschichte als wahr legitimieren. Genau deswegen handelt es sich bei ihrer Niederschrift nicht um eine rein akademische, sondern auch um eine praktische Aufgabe, die im Kern eine Frage der kulturellen Hegemonie ist und unauflöslich mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen verknüpft ist. Die Geschichte – egal ob mündlich oder schriftlich – ist keine reine Vermittlung von Wissen, das von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird, sie ist auch der Moment der Entstehung neuer historischer Subjekte und ihres sozialen Imaginären, von dem ausgehend die Subjekte ihre Identität konstruieren. Die Aneignung der Geschichte beinhaltet demzufolge notwendigerweise die Kritik an dem empfangenen Erbe. Denn wir fehlten in der Geschichte, die uns beigebracht wurde. Sie dient uns dazu, die Notwenigkeit zu verstehen, sie neu zu schreiben. Damit wir nicht aus dem Blick verlieren, dass in den Jagdbüchern immer nur die Jäger verherrlicht werden, solange die Löwen noch nicht ihre eigenen Geschichtsschreiber haben.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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Hier sprechen meine Freunde http://superdemokraticos.com/poetologie/hier-sprechen-meine-freunde/ http://superdemokraticos.com/poetologie/hier-sprechen-meine-freunde/#comments Tue, 15 Jun 2010 09:26:35 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=265 Ich habe das erste Mal meinen Lebenslauf geschrieben, weil ich mich für ein Studium an der Universität in Berlin bewerben wollte. Eine Freundin setzte sich mit mir zusammen, um mir zu erklären, was das überhaupt ist. Der Text musste klar und bündig sein. In ihm gab es nur Platz für Objektivität. Um das zu schaffen, mussten all die entscheidenden Momente meines Lebens weggelassen werden. Ich durfte nicht sagen wessen Sohn, Bruder oder Freund ich bin. Wer eine Synthese schreibt, wird eventuell dazu gezwungen, Details wegzulassen, so dass die Zusammenfassung zu einer Kernaussage in all ihrer Totalität führt. Ein Lebenslauf ist allerdings eine erzwungene Synthese, die dem Leben des Individuums, für das er steht, die magische Aura nimmt, welche das Leben selber ist.

In diesem Text, der desinformiert, musste ich schreiben, dass ich am 23. September 1978 in Havanna, Kuba geboren wurde. Obwohl ich es interessanter gefunden hätte, das Kuba dieser Zeit zu beschreiben. Oder darüber zu schreiben, was ich empfunden habe, als ich Robin Hood zu Ende gelesen hatte und es meinem besten Freund in der Grundschule erzählt habe; die Erschütterung, mit fünf Jahren ein neues Leben im Viertel Alamar zu beginnen und alle meine alten Freunde zurückzulassen; die Begeisterung über mein eigenes Zimmer; das Leben in der Nähe des Russen-Strands; mein erstes Fahrrad; die Nächte, in denen ich den Geschichten meines Freundes Poli über seine Heimat Bayamo lauschte; erneut umzuziehen – und wieder all meine Freunde zu verlassen; neue Freunde kennenzulernen; meine erste Freundin; wie ich die Musik für mich entdeckte und meine ersten Akkorde auf der Gitarre spielen lernte, bei einer Lehrerin, die mich begeisterte: all das, was mich zu dem macht, der ich bin, durfte nicht im Lebenslauf stehen. Deshalb entschied ich mich ein Curriculum Vitae über Lebensdetails zu schreiben. Einen Lebenslauf, in dem meine Freunde zu Wort kommen.

Ehrlich gesagt, als er noch ein Kind war, hat er mir ständig Kopfschmerzen bereitet. Ich weiß gar nicht mehr, wann er den richtigen Weg gefunden hat. Stellen Sie sich vor: Als er drei war, lief er von zu Hause weg – seinem Vater nach. Ich hatte gar nichts davon mitbekommen, weil ich gerade am Waschen war, bis ich mich fragte: Wo wohl das Kind sein mag? Ich rannte sofort los! An der Straßenecke Monte und San Rafael rief mir eine Frau zu: Bleiben Sie stehen, das Kind ist hier! Das hat mir das Leben gerettet, denn genau in diesem Moment kam ein Auto, das mich überfahren hätte! Und glauben Sie, er hätte sich gefreut mich zu sehen? Nein, gar nicht! Er war glücklich mit seinen neuen Freunden.

Wir waren in derselben Klasse auf der Sekundarschule. Wir haben uns kennengelernt, als wir über irgendeinen Blödsinn diskutiert haben. Mit der Zeit wurden wir unzertrennlich. Ich werde nie vergessen, wie ihn eine Lehrerin zum Direktor schleppte, weil er gesagt hatte, Fidel sei der Präsident von Kuba. Du warst ein Fanatiker – fürs Problememachen.

Ich hab ihn in der neunten Klasse kennengelernt, er ging auf dem Weg zum Sport immer an meinem Haus vorbei. Ich fand ihn nett, auch wenn wir uns nie unterhalten hatten. Eines Tages auf einer Party haben wir getanzt, und damit das klar ist, ich habe mit dir getanzt, weil meine Freundin meinte, du könntest gut tanzen, was eine Lüge war, du konntest überhaupt nicht tanzen!

Wie haben wir uns kennengelernt? Naja, also am Gymnasium wurde unsere Freundschaft intensiver. Wir waren damals ein größerer Freundeskreis. Pedro hatte immer schon einen eher schwierigen Charakter: Manchmal introvertiert und dann hat er uns wieder mit seiner Extrovertiertheit überrascht. Als wir mit dem Gymnasium fertig waren, haben wir mit Privatlehrern gelernt, um die Aufnahmeprüfung für die Uni zu bestehen. Zur gleichen Zeit traten wir einer Theatergruppe bei, und von 7 Uhr morgens bis 15 Uhr nachmittags arbeiteten wir als Sanitäter im Krankenhaus, um unseren Privatunterricht zu bezahlen. Ab 20 Uhr probten wir mit der Theatergruppe, bis ungefähr Mitternacht. Gegen 2 Uhr morgens kamen wir nach Hause. In dieser Zeit haben wir wirklich nicht viel geschlafen. Wir hatten wirklich überhaupt kein Geld und tranken immer billigen Wein. Aufgrund der Nostalgie kommt es Pedruco wie eine großartige Zeit vor. Sag bloß, Alter! Natürlich war das keine schlechte Zeit, aber nur, weil wir ihr viel Gefühl gegeben haben und mit Herzblut dabei waren. Die Situation war brenzlig, und wir hatten viele Träume. Ein Träumer: Das war Pedruco schon immer.

Ich war eine der wenigen, die Philosophie gewählt hatten, und ich glaube Pedro auch. Er war immer einer derjenigen, die im Unterricht über alles diskutiert haben und das hat ihn mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht. Sehr leidenschaftlich werde ich immer sagen! Und dann kam es, dass sich der begeisterte Compañero Pedro im dritten Jahr an der Uni exmatrikulieren lassen wollte. Niemand hat das verstanden. Es gab eine Versammlung, und es wurde entschieden, dass man ihn nicht so einfach gehen lassen könne. Er war ein sehr guter Student! Ich wurde beauftragt mit ihm zu reden, und man gab ihm die Möglichkeit im nächsten Jahr weiter zu studieren. Es hat uns alle sehr überrascht, als er uns zu seiner Abschiedsparty eingeladen hat. Einfach so ohne alles nach Deutschland zu gehen – das hatte niemand von ihm gedacht! Aber tatsächlich ist er jetzt dort und studiert Philosophie.

Berlin war eine Herausforderung. In Sprache und Kultur hineinzuwachsen, waren der Schlüssel, um weiter studieren zu können. Die Stadt hat mich aufgenommen und mir in ihrem Alltag den Albtraum des Emigranten-Daseins gezeigt. Das Abenteuer geht weiter. Manchmal zeigt es seine groteske und grausame Seite, aber ich bin auf der Suche nach dem Lächeln, das mich rettet.

Übersetzung: Barbara Buxbaum

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