Karen Naundorf – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 „Frohe Weihnachten, maradonianischer Bruder!“ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/%e2%80%9efrohe-weihnachten-maradonianischer-bruder%e2%80%9c/ Mon, 13 Dec 2010 10:58:41 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3387

Hochzeit am Weihnachtsabend: Die Paare versprechen, männlichen Nachwuchs mit zweitem Namen Diego zu nennen.

Ich feiere jedes Jahr zweimal Weihnachten. Das erste Mal Ende Oktober mit der maradonianischen Kirche: Am 30. Oktober wurde Diego Armando Maradona geboren, Jesus und Erlöser vieler argentinischer Fußballfans. Die zweite Feier ist am 24. Dezember, dem Geburtstag des herkömmlichen Jesus.

Eigentlich war alles zunächst nur ein Scherz: „Frohe Weihnachten“, sagte Hernán Amez einmal an einem 30. Oktober zu seinem Freund Alejandro Verón am Telefon. „Weihnachten?“ fragte Alejandro. „Na, überleg mal, wer hat heute Geburtstag?“, sagte Hernán, wie Alejandro Sportreporter im lokalen Radio. Alejandro verstand: „Frohe Weihnachten, maradonianischer Bruder!“ Die Freunde gründeten die Iglesia Maradoniana. Sie besorgten Messwein, beteten das erste „Diego unser“ und legten die zehn Gebote der Maradonianischen Kirche fest. Seitdem singen die Jünger jedes Jahr wieder das „Ave Diego“, kleben das Gesicht Maradonas auf Christbaumkugeln, essen Pizza und trinken Bier.

„Ziel der Iglesia Maradoniana ist es, Maradona zu ehren und seine Wunder zu verkünden. Wir wollen nicht, dass ihm erst gehuldigt wird, wenn er tot ist“, erklärte Alejandro Verón, als ich die Maradonianer zum ersten Mal besuchte. „Wir sind fast alle katholisch. Der christliche Gott ist für uns der Gott des Verstandes, Diego ist der Gott der Herzen.“ Das beste Beispiel dafür sei seine Schwester Jaquelin. Sie hat drei Mal geheiratet, standesamtlich, kirchlich, maradonianisch. Jaquelin und ihr Mann Mauricio schworen sich in einem Stadion die Treue, legten dazu die Hände auf einen Ball und lasen aus der maradonianischen Bibel.

Wer denkt, er kann dem Weihnachtsterror entfliehen, wenn er auf die Südhalbkugel reist, täuscht sich

Mein zweites Weihnachtsfest findet am 24. Dezember statt und ist wesentlich weniger exotisch. Denn die meisten Weihachtstraditionen in Argentinien stammen von den Einwanderen aus Europa. Obwohl sie eigentlich nicht zur Jahreszeit und zum Kontinent passen: Auf der Südhalbkugel ist im Dezember Hochsommer. Trotzdem sieht man überall Kunstschnee auf Kunsttannen bei 35 Grad, es gibt schweres Essen (kann auch eine Weihnachtsgans sein), hört Weihnachtslieder mit Textzeilen, in denen schneit, vor den Einkaufszentren leiden Weihnachtsmänner unter ihren roten Sauna-Mäntelchen. Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Trotzdem legt man in katholischen Familien die Geschenke unter den geschmückten Baum (im Nordwesten Argentiniens habe ich mangels Nadelbäumen auch schon mit Lametta behängte Kakteen gesehen). Und tut um Mitternacht so, als sei schon Silvester: Es gibt Sekt und überall donnern die Böller. Das Programm an Silvester ist übrigens sehr ähnlich: Essen mit der Familie. Sekt und Böller um Mitternacht.

PS: Es soll Touristen geben, die in ihrem Reiseführer die Maradonianische Kirche suchen und schwer enttäuscht sind, weil sie keine Adresse finden. Achtung, Missverständnisalarm! Die Maradonianische Kirche ist kein Gebäude aus Stein und Mörtel. Sie ist ein Zusammenschluss enthusiastischer Fans. Nicht mehr – aber auch nicht weniger!

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The mango fruit under the Christmas tree http://superdemokraticos.com/english/the-mango-fruit-under-the-christmas-tree/ Fri, 22 Oct 2010 19:18:09 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=3082 I started thinking that something like globalization existed when I had to grab a jar of cucumbers from the pantry. I decided to look for some cookies too. Then I also found a wooden box, with colourful badges of different countries.

That “Cucumber Jar” day, I was just six, maybe seven years old. I started making questions, and learned: my mother travelled to the USA with this box when she was young, to work as a nanny. She heaved that chest with a ship; she had no luggage but that. Until then, I didn’t really think twice about the fact that we received constantly mail from America or Indonesia. Neither that my mother normally kept buying marshmallows, nor that she already knew of fruits I never heard about. In Christmas, my father always tried to find a mango fruit, because my mother fell in love with it when she was on travel. If he was able to find any, he packed it in gift-wrap paper and placed it under the Christmas tree; my mother was touched. I started getting interested in exotic fruits and foreign languages.

Whereupon I did understand the fruit thing was when I suddenly saw for the first time mango fruits in Kupsch’s and Kaufland’s greengrocer section, at all seasons, as if they were part of our national menu as potatoes and beetroot are. At Christmas, my mother behaved as usual: as if she was still touched of seeing a mango fruit under the tree. But everyone knew: surprise and the “where on earth did you find THAT?” was all faked. Anyone could buy a mango fruit. Then, kiwis started being usually present too, and I still remember how I had no idea how to eat them for the first time. And then I realized it was the most practical fruit: cut in half, eat each half with a teaspoon. Awesome. I understood later, that globalization meant more than just exotic fruits. And how fatal consequences for world’s weaknesses could arise from it, if combined with an unlimited capitalist acquisitiveness. And I understood too, that the land where I grew up was a happy enclave in a world where loads of things were going wrong.

When my friends come to Buenos Aires to pay me a visit, they see a modern city. And they’re surprised again and again that they feel themselves “far away”, because they’re not able to solve everything with just a couple of clicks. And they are surprised to find a land in which not everyone knows who Lady Gaga is. In which you almost see no iPods at all in buses and underground. They’re surprised about a currency that you’re unable to exchange abroad. Surprised about a Miele hoover without any dust bag, because they don’t import them anymore. Surprised about a country from which you’re not able to buy books in Amazon without going to the International Post Office, then wait two hours, and then pay a horrible duty customs fee. Surprised about a country from which you can’t buy MP3’s in international stores, because you live in the wrong country to do so, with a wrong IP address: “The wished product has unfortunately geographical restrictions”.

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Democracia = Demokratie? http://superdemokraticos.com/themen/burger/democracia-demokratie/ Tue, 05 Oct 2010 07:00:10 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2331 Wir schreiben seit ein paar Monaten in diesem Blog mit dem Titel „Los Superdemokraticos“. Aber: Bedeutet Demokratie für die deutschen und die lateinamerikanischen Autoren überhaupt über das Gleiche? Wenn doch schon der Begriff bei einem Kolombianer und einem Argentinier völlig unterschiedliche Assoziationen auslösen kann! „Die Rückkehr zur Demokratie“ ist für einen Argentinier ein Meilenstein, ein Aufatmen. „La seguridad democrática“ in Kolumbien ist ein Sicherheitskonzept der harten Hand, entworfen unter Ex-Präsident Alvaro Uribe.

Das beste ist immer, jemanden zu fragen, der Bescheid weiß. Roberto Gargarella zum Beispiel. Er ist Anwalt und Soziologe, Master in Political Sciences, hat zu verschiedenen Aspekten der Funktionsweise demokratischer Systeme gearbeitet. Er unterrrichtet in Buenos Aires an der Universidad Di Tella, war Gastprofessor in Spanien, Norwegen und Ungarn. Im November fliegt er nach Hamburg, um dort im Rahmen eines Seminars des GIGA-Instituts über Verfassungsänderungen in Lateinamerika zu sprechen.

Meinen Argentinier und Deutsche das Gleiche, wenn sie über „Demokratie“ sprechen?

Wir sprechen oft über völlig verschiedene Dinge, wenn wir einen Begriff definieren. Es kann zum Beispiel etwas völlig anderes bedeuten, wenn man sagt: „Ich bin links“, „Ich bin rechts“, „Ich bin Liberaler.“ In Argentinien ist ein Liberaler rechten Ideologien nah, sogar der letzten Diktatur, während der Liberalismus z.B. in den USA als fortschrittlich gilt, sich auf die Linke bezieht.

Welche Rolle hat der Staatschef in den beiden Ländern?

In Argentinien haben wir ein Präsidialsystem, das zu einem Hyper-Präsidialsystem geworden ist. Die Grundlage für die meisten lateinamerikanischen Verfassungen ist das nordamerikanische Modell, aber unsere Präsidenten haben verfassungsmäßig mehr Macht als in den USA. Ein argentinischer Präsident kann in die Politik der Provinzen eingreifen, den Ausnahmezustand erklären, durch diesen die Bürgerrechte einschränken, er kann nach Gutdünken Minister ernennen und absetzen. In parlamentarischen Systemen hat ein Präsident längst nicht so viele Vollmachten.

Deshalb steht die Figur des Präsidenten im Mittelpunkt, er ist der große Entscheider. Ich kritisiere das Hyper-Präsidialsystem, weil es ein großes Risiko gibt: Das System der Gewalten und Gegengewalten, kann durch eine sehr starke Exekutive gestört werden.

Wenn man den Statistiken glaubt, funktioniert die Demokratie in Deutschland besser als in Argentinien.

Wenn wir die Demokratie als ein System von Gewalten und Gegengewalten verstehen, mit freier Meinungsäußerung, regelmäßigen Wahlen, steht Argentinien im Vergleich schlechter da.

Wenn man aber näher hinschaut und auf die Kontrollmöglichkeiten achtet, die die Bürger gegenüber ihren Volksvertretern haben, funktionieren beide Modelle, das argentinische und das deutsche, nicht gut. Ich ziehe es vor, ein Demokratie kritisch zu beurteilen.

In einem Punkt liegt Argentinien übrigens vorne, es gibt eine große Beteiligung der Bürger in der Tagespolitik. Die Leute interessieren sich, handeln politisch, gehen auf die Straße, protestieren, und zwar mehr als in europäischen Ländern. Das ist meiner Meinung nach einer der interessantesten Züge, die die lateinamerikanische Politik vorzuweisen hat: Dass die Bürger sich für etwas einsetzen und versuchen, selbst politische Kontrolle auszuüben.

Trotzdem herrscht in Argentinien Wahlpflicht.

Das ist kein Problem, sondern eine Tugend unseres Systems. Eine freiwillige Stimmabgabe ist ein Risiko, vielleicht gehen die Leute nicht wählen, weil sie denken: „Meine Stimme zählt nicht viel, was macht sie schon aus, eine von 50 Millionen.“ Die Wahlpflicht ist ein kleiner Schubs, den der Staat gibt. Es heißt, dass Nichtwähler eine Strafe zahlen müssen, aber das wird nicht durchgezogen. Die Wahlpflicht ist ein wichtiger Anreiz, schließlich steht etwas Bedeutendes auf dem Spiel: „Wie definieren wir die politische Organisation in den nächsten Jahren?“

Das Vertrauen in die Institutionen ist gering. Wie schätzen Sie deren Leistung ein?

Es gibt eine Tradition der Staatsstreiche, aber das Militär hat nicht mehr viel Einfluss auf die Politik. Ich würde mir in Argentinien, und auch in anderen Ländern, mehr Sorgen um die Rolle der Polizei machen. Sie ist nach wie vor korrupt und in Verbrechen verwickelt. Die Justiz ist besser geworden. Es war lange üblich, dass eine Regierung versuchte, eine Mehrheit im Obersten Gericht zu erreichen. Deshalb variierte die Qualität und die Rechssprechung wechselte oft. Wir hatten liberale Gerichte, konservative, korrupte, und in diesem Moment ist das Oberste Gericht respektabel, mit guter akademischer Bildung, unabhängig.

Wieviel Einfluss hat die so genannte „fünfte Macht“?

Der Einfluss großer Unternehmen ist ein großes Defizit der Demokratie in Deutschland und in Argentinien. Bei uns kommt ein wirtschaftliches Ungleichgewicht dazu, das dafür sorgt, dass die Mächtigen noch mächtiger sind. Bis in die 70er und 80er Jahre war Argentinien sehr egalitär, mit der letzten Diktatur änderten sich diese Strukturen. Die Ungleichheit ist ein Problem, für das wir noch lange keine Lösung haben.

Wie frei ist die Presse?

Journalisten werden in Argentinien nicht verfolgt, es gibt oppositionelle Medien und keine direkte Zensur. Es gibt indirekte Zensur, vor allem in der Art und Weise, wie die Regierung Anzeigen von Staatsseite verteilt. Das sind enorme Summen, die nach Gutdünken vergeben werden. Abgesehen davon haben wir das gleiche Problem wie alle Länder mit ungleichen Stukturen: Es gibt Stimmen, die nicht gehört werden, weil sie nicht genug Macht oder Geld haben, an die Öffentlichkeit zu kommen. Das kann auch in Deutschland passieren, zum Beispiel müsste man überprüfen, ob die verschiedenen Einwanderergruppen Zugang zur öffentlichen Meinungsbildung haben.

Woher kommt die große Apathie in einigen Ländern?

In Europa hat die wachsende Apathie damit zu tun, dass die Leute merken, dass die Entscheider von Lobbygruppen beeinflusst sind. Die großen Unternehmen haben leichter Zugang zur Macht als die Bürger, der Einfluss der Interessensgruppen ist größer als der von hunderttausenden von Bürgern. Die Türen des Systems sind verschlossen, wenn die Menschen Druck machen. Aber die Systeme sind sensibel für den Druck von Machtgruppen, von Lobbyisten.

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Die Mango unterm Weihnachtsbaum http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-mango-unterm-weihnachtsbaum/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/die-mango-unterm-weihnachtsbaum/#comments Tue, 21 Sep 2010 20:18:53 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1901 Dass es so etwas wie die Globalisierung gibt, begann ich zu ahnen, als ich einmal ein Glas Gurken aus dem Vorratskeller holen sollte. Ich entschied, heimlich auch nach Keksen zu suchen. Und stieß dabei auf eine zusammen gezimmerte Holzkiste mit bunten Aufklebern aus verschiedenen Ländern.

Am Tag des Gurkenglases war ich erst sechs oder sieben. Ich begann, Fragen zu stellen und erfuhr: Mit dieser Kiste war meine Mutter als junge Frau in die USA gereist, um dort als Kindermädchen zu arbeiten. Sie hievte die Kiste auf ein Schiff, einen Koffer hatte sie nicht. Bis dahin hatte ich mich nicht darüber gewundert, dass wir ständig Briefe aus Amerika oder auch Indonesien bekamen. Dass meine Mutter manchmal Marsh Mellows kaufte und Früchte kannte, von denen ich noch nie gehört hatte. Zu Weihnachten versuchte mein Vater immer, eine Mango aufzutreiben, weil meine Mutter sich auf ihren Reisen in diese Frucht verliebt hatte. Wenn er es schaffte, eine zu bekommen, lag die Mango in Geschenkpapier verpackt unter dem Weihnachtsbaum und meine Mutter war gerührt. Ich begann, mich für exotische Früchte und Fremdsprachen zu interessieren.

Wobei, eigentlich verstand ich die Sache mit den Früchten erst, als es in der Obst- und Gemüseecke bei Kupsch und Kaufland plötzlich Mangos gab, zu jeder Jahreszeit, ganz selbstverständlich, als gehörten sie auf unseren Speiseplan, wie Kartoffeln oder Rote Beete. An Weihnachten tat meine Mutter weiterhin so, als wäre sie jedes Mal wieder unendlich gerührt, dass eine Mango unter dem Baum lag. Aber alle im Raum wussten, dass die Überraschung und das „wo hast Du DIE denn bloß her?“ gespielt waren. Jeder konnte jetzt Mangos kaufen. Damals gab es auch die ersten Kiwis, ich kann mich daran erinnern, dass ich bei der ersten nicht wusste, wie ich sie essen sollte. Und von der praktischen Frucht begeistert war: aufschneiden, die Hälften auslöffeln. Toll. Erst später verstand ich, dass Globalisierung mehr als exotische Früchte bedeutete. Und welche fatalen Konsequenzen sie (in Kombination mit grenzenloser kapitalistischer Gewinnsucht) für die Schwachen auf der Welt hatte. Und dass das Land, in dem ich aufgewuchs, eine Enklave des Glücks war in einer Welt, in der der verdammt viel verkehrt lief.

Wenn Freunde mich in Buenos Aires besuchen, sehen sie eine moderne Stadt. Und sind dann immer wieder überrascht, dass man sich trotzdem „weit weg“ fühlen kann, weil sie nicht wie gewohnt mit ein paar Klicks alles erledigen können. Und wundern sich, dass es ein Land gibt, in dem längst nicht jeder Lady Gaga kennt. In dem man so gut wie keine iPods in Bus und U-Bahn sieht. Über eine Währung, die man im Ausland nicht eintauschen kann. Einen Miele-Staubsauger, für den man keine Beutel mehr bekommt, weil sie nicht mehr importiert werden. Über ein Land, in dem man keine Bücher bei Amazon bestellen kann, ohne dann zur internationalen Post fahren zu müssen, dort zwei Stunden zu warten, und dann eine hohe Zollgebühr zu zahlen. Und in dem man keine MP3s in internationalen Online-Stores kaufen kann, weil man dafür am falschen Fleck wohnt, eine falsche IP-Adresse hat: „Das gewünschte Produkt unterliegt geographischen Einschränkungen“.

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No-Places, and news from Germany http://superdemokraticos.com/themen/burger/no-places-and-news-from-germany/ Thu, 16 Sep 2010 10:00:04 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2025 For the first time ever, my Argentinean friends have asked me what the heck was happening in Germany, and laughed about it: “What, are you going to be a banana republic?”

In the last years nobody was interested at all in internal German issues, why should they. When some reports arrived about the economic crisis in Germany, they were: A) dismissed, or B) smiled at (“so, now you know how it feels like!”). Neither can I exclude myself from that. I Often have to hear arrogant remarks when I report from South America: “Tsk, what won’t happen down there, in those Southern countries”. Always with that undertone: “Something like that could never happen to US”.

But now my friends are suddenly collecting press clippings and bringing them to me: Republic’s President backs out, offended. An octopus is an oracle. The Euro, threatened. Corruption scandals in Ferrostaal and Siemens. It’s possible to hire demonstrators and to buy driving licences. Loveparade’s tragedy in Duisburg, organizers miscalculated and expected just a couple of hundred thousand assistants, people was squeezed to death. Germany robbed Nefertiti and wants to keep it. Old nuclear power stations may keep functioning after 30 years of use (even though probably 98% of Germans would plainly refuse to drive a 30-year old car because it lacks airbags).

My friends ask ironically to me, “So, what is happening in Germany?” I have to disappoint them. Germany will never be a banana republic. A banana republic lays South, is full of exotic beauties, a little corrupt and not really serious. Germany will never lay South, and exotism… we simply don’t wangle it.

What aspect dominates my life? Many answers come to me, but there’s always a common aspect: absence. Like a pop-up window that you could always click away, I arise in my German friends’ life and in my Argentinean’s. When am I longer than three weeks at the same place? When I come back to Buenos Aires after a research, often I’m there and I’m not. I confine myself there to work, I don’t answer the phone. I’m free, as free as I could never have imagined. And at the same time I’m imprisoned in the constant absence that makes impossible to understand, what life’s about: to share moments with other people. Good and bad. Absence destroyed friendships and one love. It’s a wail that many people do not understand; since I adopt a lifestyle that they would love to have (I would love too, sometimes I’m not able to believe that this life is mine). But they forget: it’s a life model that only allows one true and inseparable partner, a person and its laptop.

Absence has a stranglehold on me, the hub of missed routines are the No-Places, like airports. There I switch myself to Stand-By and allow both feelings to come, those that trigger an erratic life: elation and melancholy.

Translation: Ralph del Valle

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Nichtmal als Nutten http://superdemokraticos.com/themen/burger/nichtmal-als-nutten/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/nichtmal-als-nutten/#comments Thu, 02 Sep 2010 06:49:07 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1389 Ein Europäer, der mal in Argentinien zu Besuch war, erinnert sich gerne an die Gastfreundschaft: „Ruf mich an!“ „Komm vorbei, wir grillen!“ Argentinier empfangen Ausländer mit offenen Armen – wenn sie von der Nordhalbkugel kommen. Menschen aus ärmeren Regionen Lateinamerikas haben es schwer.

„Argentinien hat sich immer als weißes Land verstanden“, sagt Lourdes Rivadeneyra. „Die Diskriminierung gegenüber den Einwanderern aus den Nachbarländern hat viel mit der Hautfarbe zu tun, den Gesichtszügen und der Armut. Plötzlich bist du für viele ein Feind. Es gab mal im ganzen Viertel Plakate auf denen stand: Die Bolivianerinnen wollen wir nicht mal als Nutten.“

Rivadeneyra kam vor 18 Jahren aus Peru nach Argentinien, heute arbeitet sie beim Inadi, der argentinischen Antidiskriminierungsbehörde. Dort hilft sie Einwanderern aus Bolivien, Paraguay und Peru dabei, sich ein neues Leben in Argentinien aufzubauen. Etwa zehn Prozent der 38 Millionen Bewohner Argentiniens stammen inzwischen aus Paraguay, Peru und Bolivien. Die Leute träumen den amerikanischen Traum“, sagt Rivadeneyra. „Sie glauben, dass sie ein großartiges Leben in Argentinien vorfinden. Aber leider ist die Realität eine andere. Viele haben keine Arbeit, leben unter unmenschlichen Bedingungen, in sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen.“

Auf der Straße angesprochen sind die Argentinier zurückhaltend. Doch zwischen den Zeilen ist ihre Ablehnung der Einwanderer herauszuhören.

Zum Anhören (spanisch):

[audio:http://superdemokraticos.com/wp-content/uploads/2010/08/encuesta-argentina.mp3|titles=Encuesta / Umfrage]

Frau 1: Ich glaube, sie machen viele Arbeiten, die wir, die Argentinier, gar nicht machen wollen.

Mann 1: Ihnen geht es hier viel besser als es ihnen jemals in ihrer Heimat gegangen ist.

Frau 2: Alle diese Leute nutzen unsere öffentlichen Einrichtungen und geben nichts zurück. Sie zahlen nichts.

Frau 1: Manchmal sage ich etwas Fremdenfeindliches, denke Schlechtes, sage: Das ist bestimmt ein Bolivianer, ein Paraguayer. Dann ärgere ich mich über mich selbst. Aber ich bin auch nur ein Mensch, ich kann das nicht vermeiden.

Mann 3: Alles, was von außen kommt, akzeptieren wir. Woanders beschweren sich die Leute, dass es schwierig ist, zur Gesellschaft dazu gehören. Hier akzeptieren wir Leute aus anderen Ländern schnell. Aber, was mir weh tut, zum Beispiel: Die Italiener und die Spanier, kamen und gaben alles. Heute gibt es eine andere Art von Einwanderung, aus den Nachbarländern. Die sind bequem. Sie möchten, dass man ihnen ein Haus gibt, besetzen Häuser, die Italiener und die Spanier machten so etwas nicht.

Umfragen zeigen, dass sechs von zehn Bolivianern mit dem Gedanken spielen, die Heimat zu verlassen. Viele von ihnen wollen nach Argentinien. Weil sie schlecht informiert seien und nicht wissen was sie vor Ort erwartet, sagt Rivadeneyra. Ein Auswanderer gebe gegenüber der Familie in der Heimat nicht zu, wenn es ihm nicht gut geht: „El extranjero nunca va a decir a su familia que está mal.“

Auch Shirley López hatte vor der Abreise niemand gesagt, dass Bolivianer in Argentinien nicht überall willkommen sind. Sie hatte von Freundinnen gehört, dass „Argentinien genial war, dass man in Dollar verdient, das Leben sehr gut sei und das Essen lecker.“

López ist klein und hat einen dunklen Teint. Keine guten Ausgangsbedingungen für ein neues Leben in Buenos Aires. Zunächst arbeitete Shirley als Schneiderin in einer koreanischen Textilfabrik, jetzt ist sie Hausfrau und kümmert sich um ihre kleine Tochter. Drei Jahre wohnt die 34-Jährige nun schon in Argentinien und fühlt sich noch immer fremd. Hätte sie dort nicht ihren Mann kennen gelernt, sie wäre längst wieder in Bolivien. Sie wünscht sich von den Argentiniern mehr Respekt.

„Alle Argentinier sind Einwanderer. Und sie leben auf dem Land der Quechua, Aymara und Querandíes. Aber das wollen sie nicht verstehen. Sie sagen immer, dass wir die Invasoren, die Einwanderer sind, weil wir klein sind und braune Haut haben. Indios, nennen sie uns. Scheiß-Bolivianer, schmutzige Bolitas.“

Wenn Shirley ihre Heimat vermisst, geht sie in ihr Zimmer, hört bolivianische Musik und schließt die Augen.

Zum Anhören (spanisch):

[audio:http://superdemokraticos.com/wp-content/uploads/2010/08/shirley-musica.mp3|titles=Shirley hört Musik in ihrem Zimmer]

„Ich höre die Musik aus Bolivien sehr gerne. Ich fühle mich dann meiner Familie und manchmal denke ich, dass ich Zuhause bin. Auch wenn ich in meinem Zimmer eingesperrt bin, habe ich das Gefühl, da zu sein, wenn die Musik laut ist. Ich stelle mir dann vor, dass ich da bin. Ich höre sie immer, aber wenn ich traurig bin, lieber nicht.“

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts haben vor allem italienische, spanische aber auch jüdische und arabische Einwanderer die argentinische Gesellschaft stark geprägt. Heute sei die Situation anders, sagt Rivadeneyra. Argentinien müsse sich an Einwanderer aus allen Regionen Lateinamerikas gewöhnen: „Früher kamen wenige Kolumbianer, jetzt kommen mindestens zehn am Tag, die meisten sind Jugendliche. Auch aus Haiti kommen sehr viele Flüchtlinge, nicht erst seit dem Erdbeben. Das Problem ist die Armut. Ein Ausländer, der Geld hat, wird nicht diskriminiert.“

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Nicht-Orte und Neues aus Deutschland http://superdemokraticos.com/themen/burger/nicht-orte-und-neues-aus-deutschland/ http://superdemokraticos.com/themen/burger/nicht-orte-und-neues-aus-deutschland/#comments Mon, 23 Aug 2010 15:34:08 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=901 Zum ersten Mal seit überhaupt haben mich Freunde in Argentinien in letzter Zeit darauf angesprochen, was in Deutschland los sei und dabei gelächelt: „Na, werdet ihr jetzt Bananenrepublik?“

In den letzten Jahren hatte sich hier niemand so richtig für innerdeutsche Probleme interessiert, warum auch. Wenn etwa Berichte über die Wirtschaftskrise in Deutschland kamen, wurden sie A) nicht ernst genommen oder B) belächelt („na, seht ihr, so fühlt sich das an!“). Auch ich selbst nehme mich da nicht aus. Zu oft musste ich mir arrogante Bemerkungen anhören, wenn ich aus Südamerika berichtete: „Tststs, was da nicht alles los ist, in diesen Ländern, da unten im Süden.“ Immer mit dem Unterton: „UNS könnte so was ja nicht passieren.“

Jetzt sammeln meine Freunde plötzlich Zeitungssausschnitte und bringen sie mir mit: Ein Präsident tritt beleidigt zurück. Ein Tintenfisch als Zukunftsorakel. Der Euro in Gefahr. Korruptionsskandale um Ferrostaal und Siemens. Man kann Demonstranten mieten und Führerscheine kaufen. Das Unglück in Duisburg bei der Loveparade – Veranstalter verkalkulieren sich um ein paar Hunderttausend Gäste, Menschen werden tot getrampelt. Deutschland klaute einst die Nofretete und will sie behalten. Über 30 Jahre alte Atom-Reaktoren dürfen weiter laufen (obwohl sich vermutlich 98% der Deutschen weigern würden, ein 30 Jahre altes Auto zu fahren, weil es keinen Airbag hat).

„Na, was ist das los in Deutschland?“ fragen meine Freunde amüsiert. Ich muss sie enttäuschen. Deutschland wird niemals eine Bananenrepublik. Eine Bananenrepublik liegt im Süden, ist voll von exotischer Schönheit, ein bisschen korrupt und wenig ernsthaft. Deutschland wird nie im Süden liegen und das mit der Exotik, das kriegen wir nicht hin.

Welcher Aspekt dominiert mein Leben? Mir fallen viele Antworten ein, doch ein Aspekt ist allen gemein: Die Abwesenheit. Wie ein Pop-up, das man dann wieder wegklickt, tauche ich im Leben meiner Freunde in Deutschland und auch in Argentinien auf. Wann bin ich schonmal länger als drei Wochen am gleichen Ort? Wenn ich nach Buenos Aires zurückkehre von einer Recherche, bin ich oft da und nicht da. Ich sperre mich dort ein, zum Arbeiten, gehe nicht ans Telefon. Ich bin so frei wie ich es mir nie hätte träumen lassen. Und doch gefangen von der ständigen Abwesenheit die das unmöglich macht, was das Leben ausmacht: Momente mit anderen zu teilen. Gute und schlechte. Die Abwesenheit hat Freundschaften zerstört, eine Liebe. Es ist eine Klage, die viele nicht verstehen, denn ich führe ein Leben, das sie gerne hätten (ich wollte es auch und manchmal kann ich gar nicht glauben, dass dieses Leben meins ist). Aber sie vergessen, dass es ein Lebensentwurf ist, der nur ein unzertrennliches Paar zulässt: einen Mensch und seinen Laptop.

Die Abwesenheit hat mich fest im Griff, das Hub des fehlenden Alltags sind Nicht-Orte wie Flughäfen. Dort schalte ich auf Stand-by und lasse beide Gefühle zu, die ein unstetes Leben auslöst: Hochgefühl und Melancholie.

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Oscar Bin Laden http://superdemokraticos.com/themen/koerper/oscar-bin-laden/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/oscar-bin-laden/#comments Fri, 06 Aug 2010 07:00:16 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=581

„Sie können hier nicht mehr arbeiten, Anweisung von oben“, sagte die Filialleiterin. „Habe ich etwas falsch gemacht?“ fragte Brufani. „Die Kontrolleure finden, Sie sehen aus wie Osama Bin Laden."

Wenn in diesem Monat das Oberthema unserer Texte „Körper“ ist, denke ich auch an Menschen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes diskriminiert werden. Der vielleicht kurioseste Fall, von dem mir ein Betroffener selbst erzählt hat, ist der von Oscar Brufani, einem LKW-Fahrer in Argentinien. Niemals hätte er gedacht, dass die weltweite Angst vor terroristischen Attacken sein Leben beeinflussen könnte. Er fuhr doch nur Kartoffelchips aus.

Doch dann wurde ihm sein Bart zum Verhängnis. Nur drei Mal in seinem Leben hatte er sich rasiert: Einmal, als er 18 wurde, fürs Passfoto. Das zweite Mal war bei der Musterung. Das dritte Mal bereut er noch heute: Er wollte seiner Frau einen Gefallen tun. Die freute sich, aber die drei kleinen Töchter rannten vor ihm weg. Sie erkannten den Mann mit dem nackten Kinn nicht. Nie wieder, schwor Brufani, würde er sich den Bart abschneiden. Jeden Morgen wäscht er ihn mit Shampoo und bei der Arbeit steckt er ihn ins Hemd, wie andere Leute eine Krawatte unter den Pullunder.

Jahrelang belieferte er als Selbstständiger große Supermärkte im Süden von Buenos Aires mit Kartoffelchips. Doch eines Tages, nachdem er die Kisten bei Wal-Mart abgeladen hat, ließ die Filialleiterin ihn warten. Sie sprach mit zwei Kontrolleuren aus den USA. Brufani waren die Männer im Anzug schon beim Abladen der Kisten aufgefallen, sie tuschelten, sahen zu ihm herüber.

Brufani erinnert sich an den Dialog mit der Filialchefin: „Sie können hier nicht mehr arbeiten, Anweisung von oben, sagte die Dame. Habe ich etwas falsch gemacht?“ fragte er. Nein, sein Bart sei schuld, sagte die Filialleiterin. „Die Kontrolleure finden, Sie sehen aus wie Osama Bin Laden.“

Die haben einen Knall, die Nordamerikaner, dachte Brufani. Glaubten die wirklich, Bin Laden würde Chips ausliefern? Doch am nächsten Tag verweigerte ihm das Sicherheitspersonal den Zutritt. Brufani verstand nicht. Er ist Argentinier, Sohn italienischer Einwanderer, im Wohnzimmer hängt ein Kreuz.

Brufani fuhr weiter Chips aus, er belieferte seine üblichen Kunden, nur die Tore von Wal-Mart in La Plata blieben verschlossen. Für Brufani war das eine Katastrophe. „Ich muss Wal-Mart beliefern, sonst bin ich raus.“ Also begann er, einen Fahrer zu bezahlen, der die paar Meter zu Wal-Mart auf den Hof fuhr. Und nahm sich einen Anwalt. Doch der musste erstmal klären, ob der Konzern überhaupt Vorschriften verletzte. Ist es strafbar, zu behaupten, dass ein Mann aussieht wie ein Top-Terrorist, von dem man keine Kartoffelchips geliefert bekommen möchte? Das Antidiskriminierungsgesetz erfasst solche Fälle nicht. Brufani wird weder aus religiösen noch aus rassistischen Motiven diskriminiert. Die Klage von Brufani sei haltlos, heißt es lapidar in einer Presseerklärung des Konzerns.

Brufani hat danach nie wieder versucht, bei Wal-Mart einzukaufen. Er geht zur Konkurrenz, da ist er willkommen. Einmal begrüßte ihn dort sogar jemand von der Geschäftsleitung, als er gerade an der Kasse stand. „Wir haben Sie auf den Überwachungsbildschirmen gesehen“, sagte die junge Frau. „Möchten Sie für uns als Weihnachtsmann arbeiten?“

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Hauptsache weiß http://superdemokraticos.com/themen/koerper/hauptsache-weis/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/hauptsache-weis/#comments Wed, 21 Jul 2010 16:40:31 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=480 Die Frage dieses Monats:

Wärst Du in deinem Land lieber ein Mann oder eine Frau?

Meine Antwort:

Geschlecht egal. Hauptsache weiß.

Klar, argentinische Männer beschweren sich über ihr hartes Schicksal, ständig Frauen im Bus einen Platz anbieten zu müssen. Und, natürlich, es gibt noch einige Dinge, für die die Frauen in Argentinien kämpfen müssen. Aber, viel entscheidender als das Geschlecht ist für den Lebensverlauf die Hautfarbe.

Nachfahren der Ureinwohner und Einwanderer aus Nachbarländern haben es schwer in Argentinien. An eine Hauswand im Zentrum wurde gesprayt: „Die Bolivianerinnen wollen wir nicht mal als Nutten.“ Und gegenüber Einwanderern aus Europa und den USA gibt es eine positive Diskriminierung (ich kann ein Auto ohne internationalen Führerschein mieten, kenne Europäer, die seit Jahren ohne Visum in Argentinien wohnen und arbeiten).Aber, es geht mir nicht darum, Statistiken über die Benachteiliung der pueblos originarios zu zitieren. Eine kleine Presseschau zeigt genauso gut, dass es auch 200 Jahre nach der Conquista so aussieht: Weiße, die Geld und Einfluss haben, können machen, was sie wollen. Die anderen können mitspielen oder es lassen.

Tinelli, das ist der argentinische Dieter Bohlen. Und Tinellis Shows sind die, die Millionen von Argentiniern sich im Abendprogramm reinziehen. Tinellis Sendung und seine Sendung Showmatch – das ist es, was die Argentinier anscheinend sehen wollen. Tinelli gibt im Fernsehen den Ton an. Als hätten die pueblos originarios noch nicht genug gelitten, legte Tinelli vor kurzem einen drauf. Auf der Insel Apipé, in der Provinz Corrientes.

Etwa 2000 Menschen leben dort, seit vier Generationen, Nachfahren der Guaraní-Indianer. Tinellis Leute geben sich als Mitarbeiter einer kanadischen Baufirma aus, teilen den Leuten auf Apipé mit, dass sie binnen weniger Tage ihr Dorf verlassen müssen (Bericht der Zeitung página12). Der „Witz“ besteht darin, die verzweifelten Dorfbewohner zu filmen. Die „solidarische Kamera“ heißt dieses Konzept Tinellis: Erst die Menschen leiden lassen, danach gibt’s ein Geschenk. In diesem Fall sollen sie ein Fähre bekommen. Doch das Konzept der versteckten Kamera geht dieses Mal nicht auf. Als der Vertreter von Tinellis Showmatch-Team sich zu erkennen gibt, reagieren die Dorfbewohner nicht erleichtert, wie sonst bei Tinellis makabren Scherzen. Denn auf Apipé gibt es keinen Strom. Die Menschen dort kennen Tinelli und seine Mitarbeiter nicht. Sie schauen nicht fern. Heftig auch: Die Bürgermeisterin spielte mit. Tinellis Leute kommen mit offiziellen Autos, werden deshalb überhaupt erst ernst genommen.

Weiter mit der Presseschau. Ein krasser Fall aus dem Nordwesten des Landes. Und vermutlich einer, von dem die Öffentlichkeit ausnahmsweise überhaupt erfährt.

Mariela, eine Jugendliche aus einer Wichi-Gemeinde, kommt aus einer Diskothek, sieht ihre Cousine in eine Sickergrube fallen. Das Mädchen läuft zu ihrem Onkel, will Hilfe zu holen. Wird später verhaftet, des Mordes angeklagt, obwohl die Leiche der Cousine nicht gefunden wird. Unter Folter gestehen Mariela und ihre Freunde, die Cousine ermordet und gevierteilt zu haben. Die Polizei ist froh, der Richter auch, der Fall ist gelöst. Dumm nur, dass die Leiche nach ein paar Tagen in der Sickergrube auftaucht. Es gab gar kein Verbrechen, keinen Kannibalismus in der Wichi-Gemeinde, keine Vierteilung. Und vermutlich gibt es auch kein Verfahren gegen die Folter-Polizisten. Wäre die Leiche der Cousine nicht aufgetaucht (in der nur dürftig eingezäunten Grube), hätten die Leute vermutlich gedacht: Jaja, diese Wichis. Schlachten sich untereinander ab. Wie unzivilisiert.

Zum Weitergucken und Weiterlesen (spanisch):
Tinellis „solidarische Kamera“:

www.youtube.com/watch?v=GOv2ksk6fgY

Das Verbrechen das keins war:

www.niapalos.com/?p=2186

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Geschichte? Nein danke, wir haben schon eine. http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/geschichte-nein-danke-wir-haben-schon-eine/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/geschichte-nein-danke-wir-haben-schon-eine/#comments Tue, 13 Jul 2010 16:07:22 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=415 Die Frage der Blogmacherinnen diese Woche: Ob Geschichte wichtig für uns ist.

Die Geschichte lag seit zwei Wochen im Regal für Sonderangebote. Zuerst stand neben ihr das Duschgel, für 99 Cent, doch das war bald aus. Dann kamen die Erdnüsse, fein gesalzen, ohne Schale, für 50 Cent. Als das letzte Päckchen gekauft wurde, rief es der Geschichte noch zu: „Ver-sa-ger!“ Die Geschichte war traurig und beschloss zu gehen. Wenn niemand für sie bezahlen würde, würde sie sich eben verschenken. Sie klopfte bei Müller, Angermeyer, Huber und bei Fried. „Nein danke, wir haben schon“, sagten die Menschen ohne zuzuhören. Und was sie nicht wüssten, könnten sie ja bei Wikipedia nachsehen, sagte der Sohn von Fried. Woher er denn wüsste, dass da die Wahrheit stünde? Der Junge schaute verwirrt, dann sagte er: „Ich google einfach alles und was mehr Treffer hat, ist richtig.“

Mit Herodot war die Geschichte noch klar gekommen. Aber jetzt wollten einfach zu viele mitschreiben. Die Wikipedia-Administratoren, Guido Knopp in Deutschland und Felipe Pigna in Argentinien, Tausende von Bloggern und Twitterern. Gegen die CIA hatte sie schon lange verloren, das wusste sie, und seit „Inglorious Basterds“ auch noch gegen Tarantino. Aldo The Apache, der Nazijäger, würde schon bald in den Schulbüchern zu finden sein.

Alles stand im Internet, aber niemand wusste irgendwas. Die Geschichte war erbost. Sollten sie doch. Sollten sie doch untergehen mit ihrem Finanzsystem, erinnerten sie sich denn nicht an die Tequila- und die Argentinien-Krise? Sollten sie doch sinken mit ihren Öltankern, erinnern sie sich nicht an die Titanic? Diktaturen, Menschenrechte, Kriege. Das war jetzt nicht mehr ihr Problem. Sollten die Menschen doch alle Dummheiten wiederholen, wenn sie es unbedingt wollten.

„Die Geschichte ist der beste Lehrer mit den unaufmerksamsten Schülern“, hatte Indira Ghandi einmal über sie gesagt. Darauf war sie heute noch stolz. Sie brauchte die Menschen nicht, die Menschen brauchten sie.

Noch immer kochte die Geschichte vor Wut. Aber sie war besonnen genug, um zu erkennen, dass sie über die Jahrtausende hinweg den gleichen Fehler begangen hatte. Sie war zu spät gekommen. Jedes Mal. Wie oft schon waren Menschen gestorben, wenn sie ankam. Dabei war sie auf ihre alten Tage sogar schneller geworden. Die US-Truppen waren gerade erst im Irak gelandet, als schon bekannt wurde, dass es die Massenvernichtungswaffen dort nie gegeben hatte.

Die Geschichte beschloss, in Ruhe nachzudenken, wie sie weiter vorgehen sollte. Sie machte das I-Phone aus, setzte sich in den Schaukelstuhl und wärmte sich die Hände an einer Tasse Lindenblütentee. Gemütlich, aber mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Wieder würde sie ankommen, wenn alles schon vorbei war. So war sie eben.

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