Claudia Rusch – Los Superdemokraticos http://superdemokraticos.com Mon, 03 Sep 2018 09:57:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 Tschandrawati http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/tschandrawati/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/tschandrawati/#comments Mon, 04 Oct 2010 07:00:05 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=2443 Mein erstes Buch ist in viele Sprachen übersetzt worden. Manchmal fragen mich deutsche Leser, was Leute im Ausland denn an meinen Geschichten interessiert (jedenfalls an denen, die in oder nach der DDR spielen). Die könnte man dort doch eigentlich gar nicht verstehen. Gelegentlich wurde ich sogar von Ostdeutschen gefragt, ob man jenseits der Elbe überhaupt weiß, wovon ich erzähle…

Meine Antwort ist stets dieselbe: Der Sinn von Literatur ist es ja gerade Menschen eine Geschichte nahezubringen, die diese nicht erlebt haben und deren Zeuge sie deshalb erst im Nachhinein werden können. Egal, wann und wo die Geschichte spielt. Oder anders gesagt: wenn Bücher es nicht schaffen, Menschen in ein fremdes Leben hineinzuziehen und damit ihr Herz zu berühren – dann ist es keine Literatur, sondern nur eine Ansammlung von Wörtern.

Bücher verbinden Menschen. Literatur baut Brücken von Ort zu Ort, von Kultur zu Kultur, von Sprache zu Sprache. Mir fiele kein Band ein, das vielfarbiger und lebendiger die Jahrtausende unserer Existenz durchweht und miteinander verwebt. Nichts gibt es, das Raum und Zeit so mühelos überwinden kann und dabei so wenig altert. Ich glaube, darin liegt die eigentliche Kraft von Literatur.

In meinem ersten Bücherschrank standen Geschichten für Kinder, Märchen und einige altersgerechte Nachschlagewerke. Pilz- und Pflanzenbestimmer, Tierlexika, Liedersammlungen (es ist belegt, dass ich schon mit vier „Venceremos“ singen konnte…), Weltall-Erde-Mensch. Als ich älter wurde, kam Erwachsenenliteratur dazu, die mir geschenkt wurde oder die ich nach und nach unauffällig aus dem Bücherschrank meiner Mutter in mein Zimmer umsiedelte. Die wenigsten Titel davon hat sie jemals wiederbekommen. Heute ist mein Buchbesitz auf ein ganzes Zimmer voller überfüllter, deckenhoher Regalwände angewachsen.

Einige meiner Kinderbücher habe ich mitgenommen, als ich vor über 20 Jahren aus der Wohnung meiner Eltern auszog. Vor allem die Märchen. Meine Ausgaben der Gebrüder Grimm und die von Hans Christian Andersen. Die romantischen Kunstmärchen Hauffs und Bechsteins, Nachdichtungen klassischer Heldensagen sowie eine beeindruckende Sammlung von Märchen aus aller Welt.

In der DDR wurden damals überdurchschnittlich viele Märchenausgaben publiziert. Das war international und ging in jedem Fall leichter durch die Zensur als zeitgenössische Werke. Eines meiner liebsten Märchenbücher hieß Vom Blumenlager der Prinzessin Tschandrawati. Es enthielt Märchen von der Insel Mauritius. Den Titel, obschon nicht eben eingängig für eine achtjährige, konnte ich von Anfang an auswendig. Sowohl das verheißungsvolle „Blumenlager“ als auch der exotische Name der Königstochter hatten es mir angetan. Tschandrawati. Die Mädchen in meiner Klasse hießen Katrin, Sabine oder Kerstin.

Die Geschichten enttäuschten mich nicht: Es gab Maharadschas, raschelnde Saris, gelbe Ingwerblüten. Feigenbäume und tanzende Feen. Ich liebte mein Blumenlager. Als es kürzlich zufällig in mein Blickfeld fiel, zog ich, ein wenig gerührt, den unscheinbaren Rücken des Bandes aus dem Regal – und war entsetzt. Hielt ich doch, was in meiner Erinnerung voller bunter Blumen und Vögel war, als schmales, schmuckloses Taschenbuch in der Hand. Komplett in schwarz. Grobes Papier. Eng bedruckt mit kleinen Buchstaben. Keine Bilder, nur ab und zu eine skizzenhafte Zeichnung. Ein Alptraum. Weder optisch noch haptisch für Kinder geeignet.

Die ernüchternde Konfrontation mit der Realität traf mich sehr. Ich wusste, dass mein Buch so aussah wie es aussah, aber ich hatte vergessen, wie derb der wasserabweisend beschichtete Karton des Umschlags tatsächlich war, wie rau sich die Seiten anfühlten, wie schlecht sie umzublättern waren.

Ich versuchte mich zu erinnern, ob es mir damals auch aufgefallen war und ob ich irgendeinen einen Unterschied gemacht hatte, zwischen dieser allein auf den Text reduzierten Pappausgabe und anderen, fröhlich bunt illustrierten Kinderbüchern, die ich natürlich auch besaß. Aber hatte ich nicht. Denn das verblichene Aschenputtel in meinen Händen, das mich einst auf so ferne Reisen mitgenommen hatte, war mir mehr als manche Prachtausgabe ans Herz gewachsen. Natürlich – war doch die Welt Tschandrawatis zwischen den unscheinbaren, staubig schwarzen Pappdeckeln von wildbuntem Temperament, flirrenden Lichtern und aufregenden Abenteuern.

Als ich das Bändchen wieder zurück ins Regal zwischen die anderen Bücher schob, dachte ich das erste Mal, dass meine häufigen Besuchen im geheimnisvollen Mauritius vergangener Zeiten vielleicht einer der vielen Gründe waren, warum ich später selbst anfing zu schreiben.

Der Beruf des Schriftstellers, der uns alle auf dieser Plattform hier verbunden hat, ist kräftezehrend, aufreibend und oft voller Zweifel. Zumindest für mich. Trotzdem kann ich mir nichts Hoffnungsvolleres vorstellen als den Rest meines Lebens Bücher voller Geschichten zu schreiben…

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Hoch die Internationale! http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/hoch-die-internationale/ http://superdemokraticos.com/themen/globalisierung/hoch-die-internationale/#comments Thu, 16 Sep 2010 07:05:27 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1938 So richtig verstehe ich nicht, was die stete Aufregung um die Globalisierung heutzutage eigentlich auslöst. Globaler Warenhandel und damit verbundene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Vereinheitlichung sind doch nichts Neues. Um die weltweite Vernetzung der Wirtschaft und das Zurückdrängung der Nationalstaaten für ein Phänomen der letzen Jahrzehnte zu halten, muss man im Geschichtsunterricht wirklich jahrelang fest geschlafen haben. Zu diesem Thema haben sich ja schon Marx und Engels präzise geäußert:

Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.[…]
Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. […]
Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. […]
Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt.

TADAA.
Dieses Zitat stammt aus dem Manifest der Kommunistischen Partei, 1. Kapitel „Bourgeois und Proletarier“. Das Manifest wurde 1844 erstmals publiziert, ist mithin 166 Jahre alt und entstand also weit vor dem Flugwesen, vor Automobilen, Schnellbahnen und Containerschiffen, vor elektrischem Strom, Weltkriegen, Internet, Mobilfunk und anderem modernen Teufelszeug, das nach allgemeinem Dafürhalten zur heutigen Globalisierung geführt haben soll. Kann aber nicht sein, wenn Marx und Engels es schon gewusst haben. Expandieren liegt dann wohl doch eher in der Natur des Kapitals.

Oder sogar in der Natur des Menschen. Immerhin hatte auch die brutale Massakrierung großer Teile der südamerikanischen Urbevölkerung durch die Conquistadores etwas mit planetarer Ausbreitung und Export von Kultur zu tun. Oder die Kolonialisierung Afrikas, Asiens und so weiter. Wenn das keine handfesten Globalisierungsversuche waren, dann weiß ich ja nicht…

Eigentlich bin ich niemand, der besonders schnell Karl Marx zitiert (was wiederum in der Natur meiner Geschichte liegt), aber beim Thema Globalisierung finde ich ihn einfach unschlagbar. Vor allem die Bemerkung mit der „nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit“. DAS hab ich noch am eigenen Leib erlebt, war doch die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln im Ostblock bis zum Schluss ein erhebliches Problem und bestand in jedem Land vor allem aus Produkten einheimischer Ernte. Wenn ich Westdeutschen heute vom dadurch bedingten streng saisonalen Ernährungsrhythmus damals in der DDR erzähle, muss ich mir oft anhören, wie ökologisch, gesünder, traditioneller und überhaupt viel besser das doch im Grunde sei. Die gute alte Zeit… Ganz ehrlich: Obwohl ich die vielfältigen Probleme, die globaler Warenimport mit sich bringt, durchaus verstanden habe, versuche ich an diesem Punkt des Gesprächs immer vorsichtig darauf hinzuweisen, in welchen Breitengraden wir in Deutschland leben. Ich glaube, die meisten Wohlstandskinder machen sich da wirklich landwirtschaftliche Illusionen. Sauerkraut und Rüben gelten nicht umsonst als deutsche Nationalgerichte.

Dass ich nicht mehr monatelang Kohl, Kartoffeln aus dem Keller und eingekochtes Obst essen muss, ist nicht das einzige, woran ich die Globalisierung in meinem persönlichen Alltag erlebe. Auch der Umstand, dass ich nach einem Sturz auf den Klippen des Südpazifiks in eine chilenische Apotheke gehen kann, um dort mit treudoofen Blick nach „Ibuprofeno?“ zu fragen und auch tatsächlich prompt das gewünschte Schmerzmittel zu bekommen, ist Globalisierung.

Ach was, schon der Umstand, dass ich überhaupt in Isla Negra am anderen Ende der Welt wie ein Kleinkind vom Felsen ins Wasser fallen kann, ist Globalisierung.

Und dass ich davon hier in diesem südamerikanisch-deutschen Blog erzähle, ist auch Globalisierung.

Und dass ich das alles auf einer sonnigen Caféterrasse im italienischen Mantova schreibe, wohin ich zum Literaturfestival eingeladen bin, und außer mir noch 100 andere Schriftsteller aus der ganzen Welt – alles Globalisierung.

Ich bin verdammt froh, ein Teil dessen sein zu dürfen. Immer nur mit Deutschen in Deutschland würd ich ja durchdrehen. Es lebe die Internationale!

Äh, die der Literatur natürlich. Wie gesagt, ich halte es ja nicht so mit Marx…

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Die Fremde, die Freiheit und das Leben http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/die-fremde-die-freiheit-und-das-leben/ Wed, 01 Sep 2010 15:08:48 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=1554 In der vergangenen Woche habe ich viel Zeit mit einem Freund aus Amerika verbracht. Aus beiden Amerikas, wenn man so will. Javier ist Kolumbianer, lebt aber seit 16 Jahren in New York City. Er hat nicht vor, die Staaten jemals wieder zu verlassen. Im April ist er offiziell in den USA eingebürgert worden ist. Die Reise nach Berlin ist seine erste mit dem neuen Pass. Vorgestern hab ich ihn gefragt, ob er sich eigentlich mehr kolumbianisch oder mehr US-amerikanisch fühlt. Zu meiner Überraschung hat er nicht lange überlegt: „Ich bin US-Bürger“. „Inzwischen“, hat er dann angefügt.

Unsere gemeinsame Freundin Xenia, die aus Odessa am Schwarzen Meer stammt, genauso lange wie Javier in New York City lebt und ebenfalls die US-amerikanische Staatbürgerschaft hat, antwortet da immer etwas situationsabhängiger. Mal stellt sie sich als Russin vor, mal als Amerikanerin, manchmal als Ukrainerin. Je nach dem, was ihr passend erscheint. Sobald sie die Muttersprache ihres deutschen Ehemanns (und ihrer neuen Heimat) spricht, wird das ihre vierte Option werden. Das steht jetzt schon fest. Und irgendwie hätte sie damit auch Recht.

Ich fühle mich beiden darin eng verbunden. Das Thema Emigration begleitet mich mein halbes Leben – dabei hat es nur ein paar kurze Jahre lang eine konkrete Rolle gespielt. Doch der Schatten, den es damals auf mich und mein Dasein geworfen hat, ist bis heute riesig.

Seit ich fünfzehn war, hatte ich Pläne die DDR zu verlassen, seit ich siebzehn war, waren sie konkret. Ich wäre im Sommer 1990 ausgereist. So oder so. Aus der DDR auszureisen, bedeutete nicht einfach in ein anderes Land umzuziehen: Es bedeutete ganz und gar wegzugehen, seine Familie und die Freunde für immer zu verlassen. Vielleicht hätte ich keinen von ihnen jemals wieder gesehen. Ich wusste das. Es war der Preis meiner Freiheit. Ich kann bis heute nur ahnen, wie sehr ich unter der Trennung gelitten hätte.

Doch dann fiel 1989 die Mauer und ich musste nicht gehen. Ich war 18 Jahre alt, konnte studieren, konnte reisen, konnte selbst die Entscheidungen über mein Leben treffen. Und ich konnte all das tun, ohne meine Familie zu verlassen. Mir ist das Schlimmste erspart worden, und trotzdem ist in mir etwas geblieben von den geheimen Plänen damals, von der Jugend im isolierten Land, von den Träumen nach Freiheit, die sich nur in der Ferne unter Fremden verwirklichen kann.

Auf Reisen bin ich das frisch entkommene DDR-Kind geblieben, das glücklich und dankbar ist, wie durch ein Wunder doch noch die weite Welt sehen zu dürfen. Vor allem wenn ich in Amerika bin (im Süden genau wie im Norden), holt mich dieses Thema jedesmal ein. Nach wie vor. Eigentlich bewegt mich dort fast nichts anderes. Die Fremde, die Freiheit und das Leben. Ich kann gar nicht anders. Irgendwie habe ich den Fluchtinstinkt von damals bewahrt – oder werd ich ihn bloß nicht mehr los? Bin ich für immer ein Flüchtling, obwohl ich in Wahrheit nie einer war? Ich weiß es nicht.

In „Reise im Mondlicht“ (1937) lässt Antal Szerb seinen Protagonisten durch Venedig laufen und etwas fühlen, das ich sehr gut kenne: „Wenn er die Arme ausbreitete, konnte er links und rechts die Hauswände berühren, die schweigenden Häuser mit den großen dunklen Fenstern hinter denen sich, dachte er, geheimnisvolles und intensiv italienisches Leben abspielte.“ – genau diese Empfindung beherrscht auch mich, wenn ich in Amerika bin. Egal ob New York City oder Santiago de Chile. Ich laufe durch die Straßen, schaue fasziniert dem Leben dort zu (das dann natürlich nicht intensiv italienisch sondern intensiv chilenisch oder newyorkerisch oder was immer ist) und staune. Und dann fliegen in meinem Kopf plötzlich Bilder und Gedanken herum. Haarscharf am Logikzentrum vorbei und mit derselben Geschwindigkeit wie Landschaften am ICE… Ich bin dann stets verwirrt, aber auch stets erfüllt von tiefem Trost, wie ich ihn Zuhause selten fühle. Wenigstens für kurze Zeit bin ich dann voller Hoffnung, weil ich weiß, dass es einen Ort gibt, an den ich immer werde fliehen können, wenn es nötig werden sollte. Und das Leben am Ende immer einfach nur Leben ist.

Amerika war lange Jahre mein Licht am anderen Ufer. Es leuchtet immer noch. Und beruhigt mich. Es ist gut zu wissen, dass man weit weg gehen kann und immer noch da sein wird.

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http://superdemokraticos.com/themen/burger/pointpointpoint/ Thu, 19 Aug 2010 18:27:18 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=936 Das aktuelle Thema des Blogs ist die Frage, welcher dieser Aspekte das eigene Leben bestimmt: „Arbeit, Familie, Aktivismus, Mitbestimmung, Musik, Literatur, Bildung…“ Es wäre nicht sehr schwer, die Vorschläge aufzugreifen, sie in Beziehung zu mir setzen und den Text mit Fakten aus meiner Biographie zu füllen. Ich könnte schreiben, dass ich meine politische Aufgabe darin sehe, ein bisschen mitzuhelfen, den Mantel des Schweigens, der in den vergangenen Jahren immer sorgsamer über die jüngste deutsche Diktatur gelegt wird, nicht noch glattzustreichen, sondern ihn hier und da wieder zu lupfen. Ich könnte darauf verweisen, dass ich in meinen Texten und bei öffentlichen Auftritten stets bemüht bin, klare Worte zu finden für das rigide kommunistische Regime, dem wir ausgeliefert waren, und niemals so tue, als sei, was nach 1945 in Osteuropa geschah nur ein missglückter, aber letztlich harmloser Weltverbesserungsversuch, über den man mittlerweile doch einfach hinwegsehen sollte.

Ich könnte schreiben, dass meine Familie und Freunde das Wichtigste in meinem Leben sind, weil nichts auch nur ansatzweise solche Bedeutung hat, wie andere Menschen zu lieben und von ihnen geliebt zu werden (in allen Facetten, die das menschliche Herz hierfür bereit hält).

Ich könnte von dem Schulstipendium erzählen, das ich einem vietnamesischen Mädchen finanziere oder davon, warum es mir wichtig war, einen Stolperstein zu spenden, obwohl ich keine Ahnung habe, wovon ich im nächsten Jahr eigentlich meine Miete zahlen soll.

Ich könnte erklären, dass ich Bildung für ein kostbares Privileg halte, das man würdigen und nie achtlos hinschmeißen sollte, weil es (wie meine Großmutter immer gesagt hat) der einzige Besitz des Menschen ist, denn dir niemand je wieder wird nehmen können.

Ich könnte über die Kraft der Literatur reden und davon, wie viel Hoffnung in Geschichten steckt.

All diese Antworten würden mich gut aussehen lassen und wären vermutlich genau das, was von einer halbwegs etablierten Autorin erwartet wird. Aber die Wahrheit ist, dass diese Dinge zwar Teil meines Lebens sind, bei der Auswahl „Arbeit, Familie, Aktivismus, Mitbestimmung, Musik, Literatur, Bildung…“ es jedoch die Auslassungspunkte am Ende der Aufzählung sind, die mein Leben am meisten bestimmen.

Seit ich vom Schreiben lebe, vermeide ich, Fremden zu erzählen, was ich beruflich tue. Ich bin durchaus eitel, was mein Schaffen betrifft und kann sehr gekränkt sein, wenn jemand meine Bücher nicht schätzt, aber darum geht es hier nicht. Es geht um das verträumt-romantische Lächeln, das sich auf das Gesicht der meisten Leute legt, wenn sie hören, dass ich Schriftstellerin bin. Manche stützen sogar ihr Kinn in die Handfläche und seufzen begeistert. – Ich bin es leid, anderen zu erklären, wie bleischwer Schreiben in Wirklichkeit ist. Dass es einsam, erschöpfend und quälend ist. Dass man den allergrößten Teil seiner Zeit nicht inspiriert und gut gelaunt in die Tastatur haut, sondern verzweifelt mit sich ringt: um Disziplin, um Struktur, um Sinn. Aber vor allem um Mut. Den Mut, die eigenen Gedanken nicht für dumm zu halten und sich selbst nicht für vermessen. Vertrauen zu finden in das, was man tut, sich jeden Tag gegen die Selbstzerfleischung zu wehren, sich nicht hilflos der Prokrastination zu ergeben, hat mit Lust oder Spaß wenig zu tun. Es ist harte Arbeit. Vielleicht die eigentliche Arbeit eines Schriftstellers.

Dieser Kampf mit Zweifeln, Schwäche und Angst ist es, was mein Leben wirklich bestimmt. Manchmal ist es kaum auszuhalten. Etwas anderes zu behaupten, wäre unehrlich.

Aber das kann man ja keinem erzählen…

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Nur ein Unterschied http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/nur-ein-unterschied/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/nur-ein-unterschied/#comments Mon, 09 Aug 2010 14:50:26 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=578 „Das gehört sich nicht für eine Frau!“ ist ein Satz, den ich, an mich gerichtet, zum ersten Mal im Alter von 21 Jahren hörte. Er kam von einem italienischen Mitbewohner, der so zu verhindern suchte, dass ich mich nachts herumtrieb. Zu diesem Zeitpunkt war der Staat, in dem ich aufwuchs, längst von den Landkarten der Welt verschwunden und meine Beeinflussbarkeit, was das Thema „das darfst du nicht“ betrifft, bereits weitgehend abgeschlossen. Der anmaßende Erziehungsversuch Francescos rief bei mir deshalb auch lediglich ein verwundertes Kopfschütteln hervor. Darüber, wie bedauernswert rückständig jemand sein musste, der am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa immer noch annahm, für Jungen und Mädchen sollte nicht derselbe Verhaltenscodex gelten… Im Grunde verwirrt mich das bis heute.

In der DDR ist fast alles schief gelaufen, aber eines hat ziemlich gut funktioniert: die Gleichberechtigung der Frau. Sie hatte zwar nicht zur Konsequenz, dass Männer den Frauen die Hausarbeit oder Kinderversorgung abnahmen (soweit ging es denn doch nicht), aber Frauen mussten sich nicht vorschreiben lassen, was sie allein ihres Geschlechtes wegen, zu tun oder zu lassen hatte. Es war eine der wenigen Einschränkungen, unter denen man in der DDR nicht litt. Und so waren die Mädchen meiner Generation schon die Töchter von Frauen, die ihrerseits bereits gelernt hatten, dass eine Frau selbstverständlich autark über ihre Sexualität und ihren Körper bestimmt, dass Chromosomen nicht über technischen Sachverstand entscheiden und der Unterschied zwischen Frau und Mann nur ein Unterschied ist – kein Qualitätsmerkmal. Diese Gewissheit nahm ich mit in mein neues Leben in der westlichen Gesellschaft, deren Sexualmoral nach völlig anderen Spielregeln funktionierte. Ehrlich gesagt, war das der größte Schock überhaupt.

Ich hab eine Weile gebraucht, bis ich verstanden habe, dass mit der klassischen bürgerlichen Rollenzuteilung der Frau als Küchenwunder und unmündiges Lustobjekt stets noch eine andere Diskriminierung einhergeht: die des Mannes als alleiniger Familienversorger. Der Druck, der in dieser Verantwortung liegt, ist kein geringer. An einen Mann werden ganz andere Ansprüche gestellt, er wird viel schneller als Versager wahrgenommen und hat es keineswegs leichter. Er hat nur andere Probleme als eine Frau. Im Grunde haben wir es da wieder: ein Unterschied – kein Qualitätsmerkmal. Für mich gibt es in Mitteleuropa heute keinen Grund aus Vorteilserwägungen etwas anderes sein zu wollen als ich bin. Das Leben bleibt sowieso ein Kampf. Egal, an welcher Front.

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Natürlich ist das Faltencreme! http://superdemokraticos.com/themen/koerper/naturlich-ist-das-faltencreme/ http://superdemokraticos.com/themen/koerper/naturlich-ist-das-faltencreme/#comments Thu, 22 Jul 2010 10:00:52 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=496 Ich erinnere mich genau, wann ich das erste Mal das Gefühl hatte, zu altern. Ich meine nicht, an Jahren zu reifen, sondern tatsächlich körperlich zu altern. Zu spüren, dass es bergab geht, dass ich mich meinem eigenen Verfallsdatum nähere.

Das bestürzende Signal kam selbstverständlich von einer Kosmetikerin und bestand darin, dass sie mir nach der Behandlung eine ungewohnte, kühle Paste neben die Augen tupfte.
„Bitte sagen Sie, dass das keine Faltencreme ist!“ flehte ich alarmiert.
„Natürlich ist das Faltencreme“, antwortete sie ungerührt.

Das war kurz vor meinem 30. Geburtstag und ist jetzt knapp neun Jahre her. Seitdem mehren sich die Hinweise.

Die deutsche Schriftstellerin Elke Heidenreich hat in einem Interview mal gesagt, dass sie sich selbst in ihrer Eigenwahrnehmung immer viel niedlicher findet, als sie in Wirklichkeit aussieht. Als ich das las, war ich Studentin und verstand überhaupt nicht, wovon sie sprach. Heute weiß ich es genau. Ich wohne seit 30 Jahren im selben Teil Berlins und kenne viele Leute aus meinem Viertel. Namenlose, vertraute Statisten meines Lebens: Sie begleiten mich stumm durch die Zeit wie ich sie. Aus der Distanz beobachte ich an ihnen den schleichenden Verwitterungsprozess. Ich registriere, wie sie abnehmen, zunehmen, die Partner wechseln, Kinder bekommen, vom Alkohol aufschwemmen, krumm werden. Ich sehe ihr Haar schütter werden oder grau oder beides.

Jedes Mal, wenn wir uns über den Weg laufen, scheinen meine Nachbarn ein kleines bisschen mehr verwelkt. Nur ich selbst sehe im Spiegel unbeirrt die gleiche junge Frau, die mir mit ihren glatten Wangen schon daraus entgegenblickte, als ich 20 war. Ich weiß, dass ich inzwischen die Hälfte des Lebens überschritten habe (gerechnet klassisch literarisch nach der Bibel [Psalm 90, Vers 10], Dante Alighieri [Die Göttliche Komödie, 1. Gesang, 1. Vers] etc.), das heißt aber nicht, dass ich es mir auch selbst ansehe…

Egal wie, im Grunde ist der Unterschied zwischen Illusion und Wirklichkeit nicht wichtig. Zu seinem Alter sollte man so oder so stehen. Denn selbst, wer über ausreichend Geld verfügt, um sich erschlaffte Gesichtspartien hinter den Ohren wie eine Zwangsjacke straff ziehen zu lassen – es ändert ja nichts. So richtig alt wird man sowieso innerlich.

Glücklicherweise! Wenn man nämlich das zugegebenermaßen lästige Problem mit dem Bindegewebe mal außer acht lässt, halte ich Altern, ehrlich gesagt, nach wie vor für einen Anlass großer Freude. Mal ganz abgesehen von dem Umstand, dass man keineswegs so alt ist, wie man sich fühlt (worüber ich vor allem nach durchzechten Nächten auch sehr froh bin), hat mir jedes einzelne Jahr meines Lebens ein Stück mehr Sicherheit beschert. Von Krisen war meine Existenz eigentlich meistens bestimmt – von einer Midlifecrisis (rechnerisch durchaus berechtigt, siehe oben) kann dagegen keine Rede sein.

Im Gegenteil: Für mich werden die Dinge, seit ich die Dreißig langsam hinter mir lasse, eigentlich immer nur einfacher. Nicht unbedingt finanziell, erst recht nicht gesundheitlich, aber mit mir selbst. Die Orientierung im Labyrinth des Daseins fällt mir wesentlich leichter, mein Innenleben wird verständlicher und die Verzweiflung damit kleiner. Denn auch, wenn ich noch längst nicht immer auf alle Fragen eine Antwort finde, habe ich zumindest schon die Gewissheit, dass das kein Weltuntergang ist… Dafür nehme ich die paar Falten gern in Kauf.

Ich möchte nicht nochmal 17 sein. Wozu?

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Geschichte und Geschichten http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/geschichte-und-geschichten/ http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/geschichte-und-geschichten/#comments Wed, 07 Jul 2010 14:03:01 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=431 Augenscheinlich sind mir Geschichten wichtiger als Geschichte, sonst wäre ich ja Historikerin und nicht Schriftstellerin geworden – doch Geschichte spielt immer eine entscheidende Rolle. Ob man es möchte oder nicht. Auch beim Schreiben.

Literatur würde ohne althergebrachte Sprache und Alphabet, die beide schon allein Beweis dafür sind, wie wir aus und mit der Vergangenheit leben, gar nicht existieren. Auch das Geschichtenerzählen selbst ist dem Betrachten historischer Zusammenhänge nicht unähnlich, schließlich muss der Autor herausfinden, was der Kern des Geschehens ist, was die Figuren getrieben hat, warum sie so handeln wie sie handeln, um am Ende aus diesen Einzelfäden das Handlungsnetz zu weben.

Doch das einfachste und offensichtlichste ist natürlich der Umstand, dass Geschichte die Menschen formt. Lange bevor wir geboren werden. Ich bin nur deshalb die Person, also die Autorin, die ich bin, weil die Geschichte meines Landes einen so massiven Einfluss auf das Geschick meiner Familie genommen hat – und damit auf mein Leben. Meine Großmutter verlor als junge Frau durch den II. Weltkrieg alles, was ihr bis dahin selbstverständlich erschien: ihre Heimat, ihr Elternhaus, fast alle Verwandten, die Freunde, die Orte ihrer Kindheit, ihren Dialekt. Mein Großvater, der in seinem vom Krieg völlig unberührt gebliebenen Heimatdorf einen kleinen Skandal verursachte, als er ein Flüchtlingsmädchen und keine Einheimische heiratete, starb 1967 im Alter von 42 Jahren unter bis heute ungeklärten Umständen in einem Stasi-Knast. Weder meine Mutter, die damals noch ein Kind war, noch meine Großmutter haben diesen Verlust jemals verarbeitet. Meine eigene Kindheit war vor diesem Hintergrund im Wesentlichen geprägt von Bewachung und dem Wunsch nach Freiheit. Dass ich eine höhere Schule besuchen durfte, verdanke ich ausschließlich dem Engagement einer mutigen Frau.

Selbstverständlich haben diese Dinge mich geprägt. Und mit mir prägen sie auch meine Geschichten. Niemand von uns fällt einfach so aus der Welt. Oder in sie hinein. Die unauflösliche Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit bildet den einen Raum unseres Daseins, in dessen Inneren wir uns ein Leben lang bewegen – und dem wir nicht entweichen können. Man versteht das Heute nur, wenn man es zusammen mit dem Gestern betrachtet. Das ist keine Frage von Interesse.

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Keine Ahnung ist keine Ausrede http://superdemokraticos.com/themen/geschichte/keine-ahnung-ist-keine-ausrede/ Wed, 23 Jun 2010 10:34:20 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=323 Die Frage, was ich über die Geschichte meines Landes gelernt habe, ist für mich nicht einfach zu beantworten, weil das Land, das meines ist und dessen Sprache ich spreche, nicht immer mein Land war. Die ersten 18 Jahre meines Lebens verbrachte ich in einem Staat, in dem zwar dieselben Wörter und grammatischen Regeln verwendet wurden wie in dem Staat, in dem ich heute lebe, die Landessprache jedoch in jeder Hinsicht eine andere war…

Die Deutsche Demokratische Republik, in der ich aufwuchs, gehörte in den Reigen der kommunistischen Diktaturen Ost– und Mitteleuropas, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Weil man in diesen bis zum Schluss ein großes Problem mit dem eigenen Selbstverständnis hatte und deshalb nie so richtig aus einem historisch-politischen Erklärungszwang herauskam, ging die Gehirnwäsche sicherheitshalber gleich in der Schule los. Die Naturwissenschaften waren davon nicht näher betroffen, dafür die geisteswissenschaftlichen Fächer umso mehr. Allen voran der Geschichtsunterricht, dessen Themen und Melodien ohnehin stets von denen bestimmt werden, die die Macht haben. Im Fall der DDR wurden deshalb die meisten Fakten (wenn sie denn überhaupt welche waren) sorgfältig in ein Geflecht politischer Klassenauseinandersetzungen gezwungen, an deren Ende nichts anderes als die Diktatur des Proletariats, mithin der Sieg des Kommunismus stehen konnte. Dass das rigide System, welches uns umgab, unmöglich die Krone der Menschheitsgeschichte sein konnte, sah eigentlich jeder.

Wer trotzdem nicht anfing, die offiziellen Thesen zu hinterfragen, konnte schnell in ähnlich intellektueller Verwirrung enden, wie ein DDR-Philosophiestudent, von dem ich in meinem zweiten Buch erzähle. Er antwortete im Frühsommer 1989 auf die Frage, warum er Platon für einen idealistischen Philosophen halte, sehr ernsthaft und ohne Ironie: „Weil Platon die führende Rolle der Arbeiterklasse nicht erkannt hat“! Was im Grunde nicht mal von der Hand zu weisen ist. Natürlich hat Platon die führende Rolle der Arbeiterklasse nicht erkannt, er hat ja auch die Verdummungsgefahr durch das Privat-Fernsehen vollkommen unterschätzt. Oder die negative Wirkung von Elektrosmog auf Bach-Blüten.

Ich hatte mehr Glück als dieser bedauernswerte junge Mensch. In meiner Familie wurde großen Wert darauf gelegt, nicht einfach nachzubeten, was man uns einzureden versuchte, sondern sich eine eigene Meinung zu bilden – und zwar nachdem man sich, selbst denkend, mit dem Thema beschäftigt hatte. Eine elterliche Weisheit, die ich nach wie vor zu beherzigen bemüht bin. Denn ich halte eine gewisse Skepsis offiziellen Ansagen und Dogmen gegenüber auch heute, wo wir in einer Demokratie leben, noch für sinnvoll. Die Dinge und ihre Ursachen haben immer zwei (oder mehr) Seiten und man sieht nie alles, wenn man nur in eine Richtung schaut. Das betrifft die Geschichte genau so wie die Politik, die Liebe und das Leben überhaupt.

Und das Schöne an der Freiheit ist: Man darf sich über alles belesen, aufklären, erkundigen. Niemand muss mehr Platon und die Arbeiterklasse unbefugt in einen Topf werfen. Und wenn, ist man selbst Schuld. Die Zeit der Ausreden ist zumindest in Deutschland vorbei. Der ebenso kluge wie bitterböse Kabarettist Dieter Nuhr, den ich sehr mag, hat das Ganze mal treffend so zusammengefasst: „Wenn man keine Ahnung hat: einfach mal die Fresse halten!“ Oder sich informieren. Ist ja nicht mehr verboten.

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Die DDR in mir ist nicht einfach verschwunden http://superdemokraticos.com/poetologie/die-ddr-in-mir-ist-nicht-einfach-verschwunden/ http://superdemokraticos.com/poetologie/die-ddr-in-mir-ist-nicht-einfach-verschwunden/#comments Sat, 12 Jun 2010 07:00:12 +0000 http://superdemokraticos.com/?p=175 Ich bin 1971 in Stralsund an der Ostseeküste geboren und wuchs in den folgenden Jahren auf der Insel Rügen, in der Mark Brandenburg und ab 1982 in Berlin auf, wo ich seitdem immer noch lebe. Nach dem Studium (Germanistik und Romanistik) habe ich zunächst einige Jahre als Autorin und Redakteurin beim Fernsehen gearbeitet, hab mich 2001 jedoch entschlossen, das bunte Quotentheater zu verlassen und meiner eigentlichen Leidenschaft, dem Schreiben, nachzugeben. 2003 erschien mein erstes Buch, ein autobiographischer Erzählband, bei S. Fischer in Frankfurt/Main („Meine freie deutsche Jugend“), 2009 folgte dann im selben Verlag mein zweites Buch, ein ebenfalls weitgehend autobiographisch geprägter Band mit Geschichten und Essays anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls („Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau“). Beide Bücher behandeln die Themen Demokratie – Diktatur – Freiheit – Werte – jedenfalls sieht es die Presse so. Ich selbst würde eher sagen, es handelt sich um Kurzgeschichten über das Aufwachsen in einer Diktatur und das Leben danach, also darüber, was davon bleibt und womit man später noch umzugehen hat. Denn wir leben ja nicht in einem Hollywoodfilm: Was die DDR angerichtet hat in den Menschen, ist nach wie vor da. In meinem ersten Buch schrieb ich dazu einmal „Die DDR in mir ist nicht einfach verschwunden, nur weil das Land nicht mehr existiert.“

Ich verstehe mich selbst aber nicht als politische Autorin, sondern in erster Linie als Geschichtenerzählerin. Doch wenn ich aus der dunklen Zeit einer Diktatur erzähle, kann ich den politischen Hintergrund des Geschehenen nicht einfach ausklammern. Das wäre unlauter. Zumal viele meiner Geschichten dem Umfeld des (wie es heute genannt wird) Bürgerrechtler-Milieus entstammen, in dem ich aufwuchs, wo ich niemals die Chance hatte, einen romantischen Blick auf die Verhältnisse des realen Sozialismus zu entwickeln, in dem ich lebte. Schon deshalb bin ich heute eine entschiedene Verteidigerin der Demokratie – ich weiß, wie es ist, nicht in ihren Genuss zu kommen.

Mit Südamerika verbindet mich genau diese Erfahrung. Diktatur, Nachhall des Regimes im Land, Umgang mit Schuld und Verantwortung, Neustart und Klarkommen mit dem Leben in der Freiheit. Insbesondere zu Chile habe ich eine tiefe Beziehung, weil dort eine ganze Reihe enger Freunde leben.

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